Alpenüberquerung Bergauf Hier & da hin

Über die Alpen? Über die Alpen!

Auf dem E5 von Oberstdorf nach Meran. Eine Alpenüberquerung im Selbstversuch

Für viele ist es ein langgehegter Traum, einmal über die Alpen zu wandern. DER Klassiker ist der E5 von Oberstdorf nach Meran.

Alles begann damit, dass ich nach längerer Zeit meine Freundin C. wiedertraf. Sie erzählte mir, sie wolle auf dem E5 über die Alpen gehen. Spontan sagte ich zu, sie zu begleiten. Keine zehn Tage später, Anfang Juli 2010, standen wir am Oberstdorfer Bahnhof und blinzelten in die Sommersonne. – Auf nach Italien!

Tag 1 – Zur Kemptner Hütte

An der Kemptner Hütte

Mitten in Oberstdorf loszulaufen ist ein wunderschöner Auftakt: Der Ort ist immer wieder einladend hübsch anzusehen. In der Fußgängerzone herrscht ein reges Hierhin und Dahin. Man kann sich wunderbar treiben lassen und wird alsbald an den Ortsrand gespült. Bis nach Spielmannsau sind es etwa 2 ½ Stunden. Von hier aus starten dann auch die meisten geführten Gruppen.

Die ersten Höhenmeter ab Spielmannsau können es bereits mächtig in sich haben: Der Weg schlängelt sich nah am Gebirgsfluss, der Trettach, entlang. Ringsum bis ganz an den Weg viel hohes Grün, Büsche, Sträucher. Gerade bei höheren Temperaturen ist es hier sehr schwül. Das gibt sich aber, sowie man etwas an Höhe gewinnt. Nichtsdestotrotz haben wir’s erlebt, dass schon eine Stunde hinter Spielmannsau ein Wanderer in einer Gruppe aufgegeben hat, da half auch das gute Zureden des Bergführers nichts mehr.

Bis zum Etappenziel, der Kemptener Hütte, sind es für uns rund 1.000hm. Da wir recht zeitig im Jahr unterwegs sind, müssen wir noch über einigen Altschnee, an den Hängen spritzt wild das Schmelzwasser hinab.

Das schwüle Wetter schlägt in einen kräftiges Sommergewitter um und wir sehen zu, dass wir schnell zur Hütte kommen. Dort – auch wenn wir schon auf einiges gefasst waren – doch ein etwas größerer Schock: Die Hütte platzt aus allen Nähten. Obwohl es noch früh am Sonntag Nachmittag ist, sind fast alle Plätze schon belegt. Willkommen auf dem E5! (Wie Du solch volle Hütten durch geschickte Planung vermeiden kannst, liest Du hier.)

Tag 2 – Zur Memminger Hütte 

Abendliches Sonnenbad - Alpenüberquerung
Abendliches Sonnenbad an der Memminger Hütte – Alpenüberquerung

Mein Steinbock-Tag! Der Tag hätte ursprünglich auch als Murmeltier-Tag enden können, denn rund um die Memminger Hütte kamen sie überall aus ihren Bauten heraus.

Von der Kemptner Hütte geht es hinauf über das Mädelejoch. Von da ein langes Stück bergab ins Lechtal. Wie wahrscheinlich 95 Prozent der E5-Wanderer entscheiden wir uns, das Tal mit dem Taxi zu durchfahren.

Obwohl wir zeitig aufgebrochen sind, holt uns beim Aufstieg auf die Memminger Hütte wieder der nachmittägliche Regen ein, mit dem zu dieser Jahreszeit eben oft zu rechnen ist. Doch schon vor dem Abendessen ein idyllischer Blick: Der Kessel, in dem die Hütte liegt, wird wunderschön von warmen Sonnenstrahlen ausgeleuchtet. Schnell noch die paar Meter auf den Hausberg und da liegen sie dann: Steinböcke. Mehr als ein Dutzend riesiger gehörnter Kraxelmeister.

Tag 3 – Nach Zams

Seescharte, die Schlüsselstelle der Alpenüberquerung
Seescharte, die Schlüsselstelle der Alpenüberquerung

Bei guten Bedingungen brechen wir zeitig von der Memminger Hütte zur Seescharte auf. Die Seescharte ist die Schlüsselstelle, also der anspruchsvollste und schwierigste Moment, auf dem Weg von Oberstdorf nach Meran. Danach kommt ein sehr langer Abstieg Richtung Zams, zwischendurch wieder mit viel Regen für uns. Im unteren Teil wird das Tal immer tiefer eingeschnitten und ist vom Weg, der über lange Strecken an einer Felswand entlang führt, wunderschön anzusehen.

Ob Schlüsselstelle oder Abstieg – am Abend kann jeder für sich entscheiden, was ihn mehr gefordert hat. Während die geführten Gruppen unten in Zams bleiben (und sich ab da eh alles mehr verläuft), entscheiden wir uns gemeinsam mit einigen anderen Individual-Wanderern, auf der Skihütte Zams zu übernachten. Die ist auf der anderen Talseite gelegen. Einen Aufstieg verkneifen wir uns. Stattdessen schnuppern wir den Duft der Zivilisation, füllen unseren Tagesproviant auf, gönnen uns eine Kaffeepause in der Sonne und – fahren mit der Seilbahn zur Hütte auf.

Tag 4 – Zur Braunschweiger Hütte 

E5 - Alpenüberquerung
E5 – Alpenüberquerung

Nach drei durchwachsenen Tagen: Sonne satt! Von der Hütte geht’s es zurück zur Mittelstation der Seilbahn. Die ist nicht sehr viel mehr als eine breite Rampe, an der bei Bedarf die Gondel hält. Mit solch einer Auffahrt den Morgen zu beginnen, ist natürlich mehr als bequem.

Oben entscheiden wir uns für die Grat-Variante, die uns mit grandiosen Blicken belohnt. Ein Gipfelmeer ringsum. Später dann durch riesige Alpenrosen-Teppiche hinunter nach Wems. Ins Pitztal hinein entschließen wir uns, den Postbus zu nehmen.

Dann noch 1.000hm hinauf auf die Braunschweiger Hütte. Eine Hütte, die mit viel Hingabe und Elan betrieben wird. Das Essen, das ringsum aufgetischt wird, sieht wunderbar aus. Und schmeckt. Die Pitztaler Kasknödel kommen auf meine Favouriten-Liste – was sicher nicht nur am heutigen Aufstieg liegt.

Zum Abschluss des Tages ein prächtiges Gipfel- und Gletscherpanorama im Sonnenuntergang.

Tag 5 – Zur Martin-Busch-Hütte 

Gleich erreicht: Martin-Busch-Hütte - Alpenüberquerung
Gleich erreicht: Martin-Busch-Hütte – Alpenüberquerung

Bei Prachtwetter geht’s weiter. Von der Braunschweiger Hütte hinauf zum Pitztaler Jöchl, auf der anderen Seite hinab in das Skigebiet von Sölden. Bald ist die morgendliche Frische verflogen, die Temperaturen steigen.

Naturnahes Wandern trifft nun sommerliche Gespenster des winterlichen Ski-Extrem-Zirkus. Was wir hier oben sehen, spottet jeder Vernunft: Gerade wird ein Speichersee zur künstlichen Beschneiung gebaut. Devise und vermeintliches Killerargument gleichermaßen: Der Kunde setze in seinem Winterurlaub perfekte Bedingungen und damit eben auch durchgehend Schnee voraus. Doch mit dem besten Willen – für Beschneiungskanonen sogar auf einer Höhe von 2.500m – 2.800m gibt es für mich keine haltbaren Argumente. Auch der Sommerurlauber, dem sich ein trister Anblick bietet, wird vergessen, ignoriert. Allein der Begriff „Kunde“ zeigt deutlich: Hier geht’s ums Geschäft, hier wird verkauft, egal was es kostet. Im Zweifelsfall die Heimat. Die Zukunft. – Vom Berg. Und vom Tal.

Der Gegenentwurf ist nur drei Wanderstunden entfernt: Vent. Der Panoramaweg schlängelt sich leicht den Berg abfallend immer weiter in das Tal hinein. Bilderbuch-Blicke inklusive. Und weit und breit keine monströsen Liftanlagen. Nur irgendwo ein paar ältliche Schlepplifte. In Vent scheinen alle entschleunigt. Der Wirt, die Cafégäste. Die Wanderer sowieso.

Nach einer erfrischenden Saftschorle laufen wir das Niedertal hinauf zur Martin-Busch-Hütte. Die Temperaturen sind selbst hier oben, auf deutlich über 2.000m, drückend. Der Weg will kein Ende nehmen.

Und dann dieser unerwartete, wunderbare Eindruck: In den Alpen fühlte ich mich noch nie so fernab der Zivilisation. Hier und da eine Hirtenhütte, das war’s. Die Dimensionen sind für mich in diesem Moment nahezu skandinavisch.

Tag 6 – Nach Meran 

Nun nur noch bergab Richtung Vernagt-Stausee! - Alpenüberquerung
Nun nur noch bergab Richtung Vernagt-Stausee! – Alpenüberquerung

Nochmals kündigt sich ein phantastischer Wandertag an: Seit dem dritten Tag verbringen wir in unserer zusammengewürfelten Kleingruppe mehr oder minder viel Zeit am Weg, während der Pausen und auf den Hütten zusammen. Unser Aufbruch hat sich in den letzten Tagen bei 7 Uhr eingepegelt. Auch heute wollen wir der größten Mittagshitze entfliehen und starten zunächst Richtung Similaunhütte.

Am Vorabend erzählte uns die Wirtin auf der Martin-Busch-Hütte, dass die vorher abzweigende Querung zur Ötzi-Fundstelle wegen des vielen Schnees noch nicht sonderlich gut zu laufen sei. Doch wir lassen uns nicht schrecken, wagen den Versuch und haben auch ein wenig Glück: Wir sehen zwar niemanden, aber vor uns hat eine kleine Gruppe das Spuren übernommen. Für mich einer dieser beflügelnden Momente – gleich sollen wir auf mehr als 3.200 m stehen. An dem Denkmal für den Mann, der vor 5.300 Jahren hier am Similaun starb, dann eine ausgiebige Pause. Ein Blick zurück über die vielen Bergketten, über die wir in den letzten Tagen gekommen sind. Ein Blick voraus, gen Süden nach Italien.

Bis zur Similaunhütte hinab reicht der Schnee. Doch dann hat er verspielt. Steil und kehrenreich steigen wir bis zum Vernagt-Stausee hinab. Es ist der gleiche Weg, den die südtiroler Hirten zwei Mal im Jahr mit ihren Schafen nehmen: Bei der Transhumanz gehen sie zu Sommerbeginn vom Schnalstal hinüber ins Ötztal zu den großen, saftigen Wiesen. Bevor der Winter einbricht werden die Tiere wieder zurückgeführt. Und weil er so außergewöhnlich wie bewahrenswert ist, hat die UNESCO 2011 den Schafübertrieb in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Unten am Stausee können wir mit einem der Busse mitfahren. Es geht es nach Meran, wo wir unsere Tour bei einer Pizza gebührend ausklingen lassen.

Resümee

Ja,

… den E5 von Oberstdorf nach Meran zu wandern, ist eine wunderschöne Erfahrung: Das phantastische am E5 ist das Durchqueren der vielfältigen Vegetationsstufen. So kompakt wie auf dieser Tour bekommt man das sicher selten geboten. Hinzu kommen die Veränderungen von Tal zu Tal. – Die Dialekte, die Gerüche, die Speisen …

… ich würde ihn noch mal laufen: Die Eindrücke waren so mannigfaltig. Das eine oder andere am Wegesrand verpasst man, weil man sich in netter Gesellschaft befindet und eben auch viel erzählt. – Ich bin mir sicher, auf einer zweiten und dritten Tour würde ich wieder ganz andere Dinge wahrnehmen.

… ich würde beim nächsten Mal einiges anders machen: Allem voran würde ich beim nächsten Mal, so es das Wetter zulässt, die Kaunergrat-Variante probieren. Ich würde in jedem Fall unter der Woche starten. Und mir mehr Zeit lassen, so dass ich auch die unumgehbaren „Talhatscher“ ordentlich zu Fuß zurücklegen würde. Denn so richtig rund wird die Tour für mich persönlich erst, wenn sie in einem Stück „by fair means“, also nur mit den eigenen Kräften und Möglichkeiten zurückgelegt ist.

… es gibt Alternativen zum E5: Der Weg verläuft durch mehrere Täler. Das heißt an mehreren Tagen die mühsam erklommenen Höhenmeter wieder preiszugeben und bis ganz hinunter ins Tal abzusteigen. Mit ein wenig Recherche lassen sich wunderbar auch andere Strecken finden, die weniger bekannt und nicht so überlaufen sind. Einige sind in etwa einer Woche zu gehen. Wer sich richtig viel Zeit nehmen will und kann, geht mal „geschwind“ von München nach Venedig oder aber den gesamten Alpenbogen auslaufen.

Weitere Artikel zu Alpenüberquerungen – auch von München nach Venedig – findest du hier, auf meiner Seite „Alpenüberquerung“.

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Alpenüberquerung in Bildern 

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