Am Spitzingsee: Durch diese Latschengasse muss er kommen
Wenn die Wettervorhersage flexibel ist, sind wir’s halt auch. – Und haben statt einer Tour gleich zwei im Gepäck für den Tag. Erst unterwegs dann die Entscheidung: Die Sicht ist einigermaßen bescheiden, da lohnt unser Plan A nicht. Plan B führt uns zum Spitzingsattel. Von dort aus wollen wir den Jägersteig unter die Füße nehmen, hinauf zum Jägerkamp. Der Jägersteig ist ein aufgelassener Pfad. Immer wieder hatte ich von ihm gehört, unlängst in dem kleinen Büchlein „Auf Hirtenwegen und Wildererspuren“ wieder über ihn gelesen. Genau das Richtige für den heutigen Tag.
Der Weg ist das Ziel
Denn es geht uns weniger um den Jägerkamp – auf dem hatten wir vor wenigen Wochen bereits gestanden – als tatsächlich um den Weg dorthin. Der von den meisten benutzte Weg führt vom Spitzingsattel Richtung Südost hinauf in den Wald und zur Schönfeldhütte. Alles schön markiert, alles gut in Schuss gehalten.
Wir hingegen laufen nach Nordost. Deutlich sichtbar, aber ummarkiert, schlängelt sich ein Pfad in die Wiese hinein. Einheimische nennen ihn den Jägersteig. Zunächst Karrenweg-artig und breit, an einigen Stellen gar schön mit Steinmauern befestigt und begradigt, bevor er sich irgendwann verjüngt und im Wald verschwindet. Der Steig ist seit einigen Jahren aufgelassen. Heißt: Die Alpenvereinssektion Leitzachtal, die sich ansonsten um die hiesigen Wege kümmert, richtet den Weg nicht mehr her. So geht’s durch einige kleinere Geröllreißen, an Lawinenverbauungen vorbei, unter umgefallenen Bäumen hindurch und auch sonst über Stock und Stein. Wer einigermaßen trittsicher ist und auch bei Nässe gut über unzählige Wurzeln hinwegbalanciert, der hat auf dem Steig seine wahre Freude.
Wir treffen auf den Weg, der von der Spitzingseestraße heraufkommt, folgen ihm eine Weile und stehen nach nicht all zu langer Zeit an der Jägerbauernalm. Bisher hatte es das Wetter wirklich nicht gut gemeint. Die Wolken waren dichter geworden, wir sind mitten hinein gelaufen, es fing an zu nieseln – das ganze dieser-Tag-ist-nicht-wirklich-schön-Programm. Jetzt aber können wir tatsächlich mehr als nur ein paar Meter schauen. Machen den schönen Kessel aus, in dem die Alm liegt.
Ein Stück weiter oben ist schon das Gipfelkreuz des Jägerkamp auszumachen. Der Weg dorthin schlängelt sich durch die Latschen. Einmal mehr werden wir verschluckt von dichtem Wolkengewaber. Dass wir kurze Zeit später den Gipfel für uns allein haben, überrascht unter diesen Umständen nicht wirklich.
Schon fast wollen wir über die Schönfeldalm absteigen, doch da passiert es: Noch matt, aber deutlich wahrnehmbar kommt die Sonne schräg über uns zum Vorschein. Es dauert wenige Augenblicke und wir erhaschen das erste Zipfelchen blauen Himmel, haben plötzlich tatsächlich eine gewisse Sicht auf die umliegenden Berge. Schnell ist der Abstieg vergessen.
Mich reizt es – wieder durch Latschen – nach Südwesten zu laufen. Wenn der Schnee einigermaßen mitspielt, könnten wir den Kessel, den wir vorher noch von unten bewundert haben, ganz gut am oberen Rand entlang umrunden.
Es geht gut voran und nach kurzer Zeit stehen wir an einer kleinen Weggabelung. Nach links geht’s zum Wilden Fräulein.
Das oder die Fräulein?
Da es noch nicht mal richtig Mittag ist, fällt die Entscheidung leicht: Klar, geht es dort noch hinunter, dann einen kleinen Gegenanstieg empor. Und man steht auf dem Wilden Fräulein.
Ob es nun eigentlich nur eines oder mehrere sind, konnte ich nicht abschließend klären. Meine Karte meint, es seien mehrere. In Tourenbeschreibungen findet sich jedoch immer wieder auch die Einzahl. Hört sich wohl halt gleich noch ungezähmter an.
Im Herbst 2013 wurde hier auch ein kleines Gipfelkreuz aufgestellt. Zur Schönfeldalm und zum Normalweg ist es nicht mehr weit und auch wie spielen mit dem Gedanken, über den kurzen Weg abzusteigen. Wenn da nicht noch diese Kesselumrundung im Hinterkopf wäre. Also zurück zu der kleinen Weggabelung …
Let’s take a walk on the wild side
Wir umrunden den Kessel zunächst noch gut. Doch plötzlich ist doch recht viel Schnee auf dem schmalen Pfad. Aber was soll’s – verfehlen können wir ja nichts. Hin und wieder öffnet sich der Weg zu einer kleinen Wiese. Doch der Schnee wird mehr und irgendwie auch höher. Wir laufen ein paar Meter über die feste Oberfläche, nur um beim nächsten Schritt knietief einzubrechen. Immer wieder die gleiche Prozedur. So geht es langsam, aber sicher voran.
Zurück? – Nicht wirklich eine Option. Und – so die Hoffnung: Irgendwann weiter unten muss es ja schließlich besser werden. Doch erst mal wird’s eher komplizierter. Viele Latschen. Und auch viel zu viel Schnee. Den Pfad können wir so natürlich nur erahnen.
Ich schalte auf MacGyver-Modus: Wenn ich irgendwo abgesägte Äste an den Latschen finde, heißt das doch, dass unter dem Schnee der Weg ist … Tatsächlich – es klappt. Mühsam arbeiten wir uns zwischen dem Latschen-Wirrwarr voran. Verlieren den Pfad, finden ihn wieder. Treffen irgendwann, weiter unten auf den Normalweg und genießen den Rückweg über den Jägersteig zum Spitzingsattel, inklusive einiger schöner Ausblicke.
Tipp: An der Jägeralm angekommen, geht es im Grunde im Uhrzeigersinn um den Talkessel herum. Am südlichen Ende ist der Abzweig zum Wilden Fräulein. Speziell auf der westlichen Seite sind die Latschen arg verwachsen. Es sieht so aus, als ob aber immerhin alle Jubeljahre mal ein paar Äste ausgesägt werden, die zu stark auf dem Weg behindern. Leicht könnte man in dem Pfad hier und dort nur einen einfachen Wildwechsel vermuten.
Das Gelände rund um das Wilde Fräulein ist ein sogenanntes Wald-Wild-Schongebiet, in dem die Bedürfnisse der Tiere Vorrang haben und in das man auf freiwilliger Basis während des Winters nicht geht. Das zielt auf die notwendige Winterruhe ab; die Tiere sollen nicht unnötig durch Skitourengänger oder Schneeschuhwanderer aufgeschreckt werden und wichtige Energiereserven verbrennen. Zwar gibt es dabei (meines Wissens) keine konkretes Zeitfenster, aber wer sich – analog zum Betretungsverbot für viele Wildschutzgebiete – an den Zeitraum zwischen dem 1. November und dem 30. April hält, dürfte auf der sicheren und naturverträglichen Seite sein.
Ach ja: Wenn einer der Leser hier mehr über die Namensherkunft vom Wilden Fräulein weiss – lasst es mich wissen …
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