Bus:Stop Krumbach
Ich warte auf den Bus. Nun ja, nicht wirklich. Vielmehr tue ich so, als ob ich warte. Versuche, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es wäre, wenn ich jeden Tag hier sitzen würde. Um mit dem Bus von Krumbach hinunter nach Bregenz zu kommen. So wie viele Einheimische; so wie einige Touristen.
Ich sitze im Wartehäuschen. Im Wartehüsle, wie die Einheimischen wohl sagen würden. Ist es Bushaltestelle? Kunst? Architektur? – Das Wartehüsle ist von allem ein bisschen. Doch in der Summe eben mehr als nur seine Teile.
Unterkrumbach-Nord heißt die Haltestelle im Bregenzerwald ganz offiziell. Ein bisschen fühle ich mich hier wie in einem Sägewerk. Denn um mich herum sind schwere, grob geschnittene Eichenplanken aufeinandergestapelt. Die Bank, auf der ich sitze, ist ebenfalls aus Holz.
Das Wartehüsle ist Teil eines ziemlich charmanten Projekts: Sieben internationale Architekten wurden 2013 angefragt, um jeweils ein Wartehäuschen zu entwerfen. Sie kamen zur Site Inspection nach Krumbach. Ließen Land und Leute auf sich wirken. Machten Entwürfe. Ein Jahr später waren diese Entwürfe umgesetzt. Von Betrieben aus der Region. Dass Architekten und Handwerker auf Augenhöhe zusammenarbeiten, hat eine gewisse Tradition im Bregenzerwald. Auch, dass Einflüsse von außen aufgegriffen und in die eigene Formensprache der Region integriert werden.
Form follows function
Zwei Anforderungen sollten die Wartehüsle erfüllen: Zum einen beim Warten Schutz vor den Elementen gewähren – im Bregenzerwald regnets und schneits viel. Zum anderen sollen Wartende und Busfahrer schon frühzeitig Blickkontakt miteinander aufnehmen können. (Wer je in einem dreiseitig geschlossenen Beton-Wartehäuschen warten musste, weiß warum: Denn dort wartet man dann sehr schnell nicht mehr in, sondern vor dem Wartehäuschen …)
In Unterkrumbach-Nord nun bin ich mir zwar mit dem Wetterschutz, zumindest bei Westwind, nicht so ganz sicher. Aber von der Bank sehe ich den Bus schon zeitig. Auch der Busfahrer sieht mich, wird langsamer, hält an. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich nicht mitfahren möchte.
Irgendwo anders „auf dem platten Land“, in einer Gemeinde mit nicht mal 1.000 Einwohnern, wäre es nicht selbstverständlich, dass, während ich am frühen Nachmittag im Wartehäuschen sitze, zufällig gerade ein Bus vorbei kommt. Hier in Krumbach ist das anders: Die Ortschaften im Bregenzerwald sind so ziemlich perfekt durch den Landbus erschlossen, dass manch Metropolen-Speckgürtel-Bewohner grün vor Neid werden kann. Denn hier, ganz im Westen von Österreich, kommen die Busse im Stundentakt vorbei. Von früh morgens bis spät abends. Selbst am Wochenende gelangt man gut hin und her.
Wäre ich eingestiegen in den vorbeikommenden Bus, wäre ich in jedem Fall schon an der nächsten Haltestelle, Zwing, wieder ausgestiegen. Dort nämlich steht mein ganz persönlicher Wartehüsle-Favorit. Und dort würde ich gerne mal an einem sonnigen Wintertag einige Zeit verbringen: Um mich herum würde eine dicke Schneedecke glitzern. Ich würde im Trockenen sitzen. Würde nachdenken über Wartehäuschen. Und philosophieren, bis der Bus kommt.
(Mein Favorit) Zwing – Besonders geeignet für: Naturverbundene Stammtischler. Zwar ohne Tisch. Aber mit freiem Blick auf die Wiese. Mit der Beton-Kassettendecke und den drei Holzstühlen ist’s hier fast so gemütlich wie in der guten Stube.
Glatzegg – Besonders geeignet für: Überzeugte Analogfotografen. Klar, wegen dieses Camera-Obscura-Blicks.
Oberkrumbach – Besonders geeignet für: Faule Schüler. Auf dem hellblauen Tisch lassen sich die Hausaufgaben wunderbar abschreiben.
Kressbad – Besonders geeignet für: Heimlich Verliebte. In der zweiten Etage und von der Straße abgewandt: Schmusen bis zum nächsten Bus. Oder halt Tennis schauen.
Unterkrumbach Süd – Besonders geeignet für: Begeisterte Outdoor-ler. Die Architekten haben bei ihrem Entwurf an Berg und Tal gedacht. Außerdem sieht’s für mich so schön nach einem Zelt aus.
Unterkrumbach Nord – Besonders geeignet für: Präzise Puristen. Trotz grober Oberflächen – hier scheint alles millimetergenau gestapelt.
Bränden – Besonders geeignet für: Unverbesserliche Optimisten. Regnen darfs hier nicht. Der Pessimist trägt Regenschirm.
Übrigens: Das Bus:Stop-Projekt wurde komplett durch private Sponsoren und (unbenannte) Mäzene ermöglicht. Die Architekten – allesamt international renommiert – wurden als Dank eine Woche in den Bregenzerwald eingeladen.
Auch sehenswert: Making of … Wartehüsle Unterkrumbach-Nord. Nach einem Entwurf von Ensamble Studio aus Madrid. – ¡Olé!
Die Architekten des Krumbacher BUS:STOP-Projekts: Alexander Brodsky (Russland) Rintala Eggertsson Architects (Norwegen), Architecten de Vylder Vinck Taillieu (Belgien), Ensamble Studio/Antón García-Abril und Débora Mesa (Spanien), Smiljan Radic (Chile), Wang Shu und Lu Wenyu (China) und Sou Fujimoto (Japan).
Das Krumbacher BUS:STOP-Projekt habe ich auf Einladung von Bregenzerwald Tourismus kennengelernt.