Ein Plädoyer für ein anderes Essen. Und für mehr Leitungswasser
Wir Deutsche sind schon ein seltsames Völkchen: Plötzlich, im Frühling, wird ein kalorienarmes, weißes Gestänge zum großen Thema. Es wird gekauft – ganz egal, wie teuer es ist. Es kommt Vorfreude auf, es zum ersten Mal im Jahr auf dem Teller zu haben. Es wird genossen, als gäbe es kein Morgen. Natürlich nicht ohne zu betonen, dass es sich um Spargel aus der Region, mindestens aber aus Deutschland handelt. Auf dem Markt gekauft – eh klar.
Auf der anderen Seite stehen die Kühlregale in den Läden voll mit Milch, die zu niedrigen Preisen zu haben ist. Ein Liter frische Vollmilch wird dem Käufer dieser Tage bei deutschen Discountern für unter 50 Cent angeboten. Und: Sie wird gekauft – ganz egal, wie billig sie ist. Natürlich nicht ohne zu betonen, dass man sie noch mal ein paar Cent günstiger als in anderen Lebensmittelmärkten bekommen hat und das doch ne richtig tolle Sache sei.
Über das Einkaufen
Nun lässt sich sagen: „Das sind ja Extreme.“ Nur um hinterherzuschieben „Also ich persönlich kaufe ja keine Milch beim Discounter. Und den Spargel gönne ich mir auch erst, wenn er etwas günstiger geworden ist.“
Aber wenn wir jetzt mal ganz allgemein über Ernährung von Flensburg bis Berchtesgaden nachdenken, dann wird klar, dass da einiges im Argen liegt. Denn abgehen vom Spargel, diesem Everybody’s Darling, und vielleicht noch den prallen, verlockenden Süßkirschen es gibt wohl kaum ein einheimisches Gemüse und Obst, das sich so gänzlich quasi ohne auf den Preis zu schauen, verkaufen lässt. Geschweige denn Fleisch oder Milchprodukte.
Dabei sind Lebensmittel im Verhältnis zu unserem Einkommen derzeit eh vor allem eins: extrem günstig. Nur mal ein Beispiel: Noch 1960 mussten wir Deutsche für ein Stück Butter 38 Minuten arbeiten. Heute sind wir in der Lage, nach fünf Minuten Arbeit unser halbes Pfund Butter zu kaufen. Und darüber freuen wir uns. Schließlich können wir mit dem restlichen Geld unseren Ruf als Reiseweltmeister pflegen. Dass vor allem viele kleine Milchproduzenten wohl über kurz oder lang auf der Strecke bleiben – wen stört’s? Überhaupt – was kümmern uns die Bauern? Wir leben ja in der Stadt.
Über das Essengehen
Nehmen wir mal ein ganz anderes Beispiel. – Ein Besuch im Restaurant oder Wirtshaus. Neulich, in einer der großen Traditions-Brauereien mitten in München: Den Krustenrollbraten gibt’s für 9,90 Euro. Daneben die 0,3er Cola für 3,20 Euro; alternativ das 0,25er Mineralwasser für 2,70 Euro. – Wer solche Preise hinterfragt, hört schnell das Argument „Die Gäste wollen das so. Billig essen und überhaupt …“ Klar, dass der Wirt dann irgendwie anders sein Geld machen muss. Vorzugsweise mit den Getränken. Aber fällt was auf an der Preispolitik und der Wertschöpfung? Das passt irgendwie alles nicht zusammen. Oder?
… and a jug of water, please
Ein Blick über die Grenzen verrät: Es geht auch anders. Und zwar, ohne nun gleich alles komplett umzukrempeln. In Schottland zum Beispiel wird es durchaus als teuer wahrgenommen, auswärts essen zu gehen. Selbst einfache Gerichte in einem Pub irgendwo auf dem Land lassen preislich erst mal staunen. Gleichzeitig ist es absolut normal, ein großes Glas Leitungswasser dazu zu bestellen. Kostenlos, versteht sich.
Ähnlich normal ist das Glas Leitungswasser in österreichischen Lokalen. Nur in Deutschland, so scheint es, ist die Frage nach Leitungswasser vor allem eins: verpönt und geradezu verachtet. Dabei wäre es doch toll, wenn wir uns teure Zuckerwasser oder alternativ Mineralwasser aus Italien einfach sparen könnten. Genau diese paar Euro extra ließen sich dann für ein qualitativ hochwertigeres Essen ausgeben. Und wahrscheinlich bräuchten wir uns gar nicht erst lange bitten lassen, bei all dem tollen Essen noch ein passendes Bier oder einen schönen Wein zu genießen. Wer weiß.
Bio. Regional. Slow. Saisonal. From nose to tail. – Das sind nun die bekannten Schlagwörter der Stunde für jeden, der auch nur ansatzweise auf eine andere, bessere Ernährung setzt.
Unterwegs in den Bergen
In den Bergen machen beispielsweise inzwischen mehr als 100 Alpenvereinshütten bei der Initiative „So schmecken die Berge“ mit. Der Großteil der Produkte stammt dabei aus einem jeweiligen Hüttenumkreis von 50 Kilometern und möglichst aus ökologischer Landwirtschaft. Die Initiative läuft mit Erfolg, denn vergessen sind auf solchen Hütten die Zeiten, in denen eher ernährt statt genossen wurde.
Und im Tal? – Dort gibt’s natürlich gleich eine Vielzahl von Siegeln und Prädikaten, die uns Lust auf ein „anderes Essen“ machen. Persönlich suche ich immer öfter gerne die rote Schnecke, die die Slow-Food-Philosophie – also eine regional verwurzelte Küche mit Lebensmitteln und Zutaten von lokalen Bauern und Erzeugern – von Restaurants anzeigt.
Slow Food
Wer nicht nur ganz zufällig ein Slow-Food-Lokal finden möchte, der besorgt sich am besten einen Slow-Food-Guide. Den gibt’s für Deutschland im oekom-Verlag. Der Österreich-Guide (samt Südtirol und Slowenien) erscheint im echomedia-Verlag.
Und bloß keine Berührungsängste: Natürlich sind in den Führern nicht wenige Lokale aufgelistet, die auch Hauben bzw. Sterne erkocht haben und mitunter entsprechend doch noch mal teurer sind. Bei vielen gilt aber: Ist gar nicht so wild. Einfach gönnen! Und einfach die Philosophie (er-)leben.
Neben den Restaurant- und Gasthaus-Tipps sehr schön an der Östereich-Ausgabe sind die Extra-Seiten, auf denen auch Almen vorgestellt werden, die für einzelne Spezialitäten bekannt sind. Sei es das Bauernbrot mit Sperkas oder der herausragende Kaiserschmarrn. Tipps für den Einkauf vor Ort bei den Erzeugern runden die Slow-Food-Guide-Idee stimmig ab. Was für meine Begriffe fehlt, ist eine gescheite App zum Buch. Denn wer hat schon auf seinen Ausflügen (in die Berge) wirklich immer die passende Genussführer-Printausgabe dabei?
Vielleicht auch ein Zeichen auf „slow“: Der Genussführer für Deutschland erscheint in der neuen Ausgabe mit einer zweijährigen Gültigkeit. Das ist völlig in Ordnung so. Auch für Österreich lässt sich ohne weiteres weiterhin die Ausgabe von 2015 nutzen, obwohl inzwischen eine aktuellere Ausgabe erschienen ist. Das ist schließlich mit das Schöne an den aufgeführten Lokalitäten: Sie sind oftmals schon lange da. Und werden so schnell (hoffentlich) auch nicht verschwinden. So lange wir uns nur deutlich genug bewusst machen: Wir Gäste haben das ein Stück weit selbst mit in der Hand.
Weitere Lesetipps:
Lust, die Vielfalt der Alpenküche kennenzulernen? – Dann mal in das Buch „Das kulinarische Erbe der Alpen“ schauen!
Noch mehr Slow Food gefällig?: Das Slow Food Magazin erscheint sechs Mal jährlich – mit massig Tipps und Hintergrundinfos rund um das etwas andere Essen. Alles weitere rund um die rote Schnecke auf www.slowfood.de sowie www.slowfoodaustria.at.
Den Gasthausführer „Slow Food 2015“ hat mir der echomedia Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.