Inmitten von Natur, Geschichte und Wein
Sommer im Seewinkel ist anders. Denn der östlichste Zipfel Österreichs entspricht so gar nicht dem Bild, das wir für gemeinhin von der Alpenrepublik haben: Steppe statt Berge, tiefster statt höchster Punkt Österreichs. Die Küche, vor allem die Nachspeisen, oft ungarisch im Namen und Geschmack. Und dann gibt es da noch den Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel. – Grund genug, der Region einen Besuch abzustatten.
Natur
Spitze Zungen behaupten, wer im Sommer in den Nationalpark am Neusiedler See käme, der wüßte es einfach nicht besser oder könne nicht anders. Der Kenner – gemeint ist damit der Birdwatcher – käme im Frühjahr.
Denn im Frühling geht es rund im östlichsten Zipfel von Österreich: Viele Watvögel, die auf dem Weg in ihre Sommerquartiere sind, rasten am Neusiedler See, die Großtrappe – einer der schwersten flugfähigen Vögel – balzt, wieder andere wie der Kiebitz oder die Uferschnepfe sind schon mit dem Großziehen des Nachwuchses beschäftigt. Kurzum: Vor allem in den ersten, wärmeren Monaten im Jahr ist der Neusiedler See ein Dorado für Vögel. Und für Ornithologen.
Frühjahr also. Wir hatten uns stattdessen entschlossen, im Hochsommer an den Neusiedler See zu fahren. Wir wollten vor allem die Przewalski-Pferde, die Ungarischen Steppenrinder und die Weißen Esel sehen. Fast entschuldigend daher unser Hinweis, dass auch wir zu denen gehören, die zu einem anderen Zeitpunkt nicht hätten herkommen können. Dass prompt zu unserem Besuch auch eine große, alles-ermattende Hitzewelle mit knapp 40 Grad über die Steppe rollen würde, konnte im Vorfeld niemand ahnen.
Geschichte
Den östlichsten Zipfel Österreichs auf den grenzüberschreitenden Nationalpark – auf ungarischer Seite geht er als Nationalpark Fertö-Hanság weiter – zu verkürzen, wäre eh ein Fehler, denn als Grenzregion ist der Seewinkel auch historisch besonders interessant: Das Burgenland war immer wieder mal in österreichischer, mal in ungarischer Hand. 1919, mit dem Vertrag von Saint-Germain, ging Deutsch-Westungarn an Österreich und hieß von nun an Burgenland.
Eine Region, die, so strukturschwach sie war und auch weiterhin ist, in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder geholfen hat: 1956, als fast 200.000 Ungarn in den Westen flüchteten; 70.000 von ihnen allein über eine kleine, unbedeutend erscheinende Brücke bei Andau. Dann 1989, als mehrere hundert DDR-Bürger die Gunst der Stunde nutzen und sich beim Pannonischen Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze in den Westen absetzen und endgültig den Niedergang des Eisernen Vorhangs einläuteten. Und auch 2015, als innerhalb weniger Wochen wiederum 300.000 Migranten bei Nickelsdorf über die Grenze kamen und das kleine Dorf zum Flüchtlings-Hotspot wurde.
Wein
Hervorragend reden über Geschichte und Geschichten lässt sich bei einem Glas Wein. Denn nicht zuletzt für seine exzellenten Weine ist das Burgenland heute bekannt. Dass hier 1985 im großen Maßstab Wein gepantscht wurde, ist inzwischen kein Thema mehr, das mit spitzen Fingern angefasst wird: Als damals Wein das Frostschutzmittel Glykol zugesetzt wurde, um ihn lieblicher schmecken zu lassen, endete es nach Entdeckung durch die Behörden zwar zunächst damit, dass der Verkauf österreichischer Weine am Boden lag. In der Folge führte dieser Skandal jedoch zu einem der strengsten Weingesetze weltweit und dazu, dass sich – nicht nur – mit einem Wein aus dem Burgenland heute nicht „allzu viel falsch machen lässt“ und Experten regelmäßig manch ganz große unter den hiesigen Weinen ausmachen.
In Gols, mit rund 100 Winzern einer der bedeutendsten Weinorte Österreichs, ergibt sich für uns schnell die Gelegenheit, den charakteristischen Geruch eines alten Weinkellers und an alten Weinfässern aus Holz zu schnuppern, bei einem Heurigen bei einem Glas Wein pannonische Spezialiäten wie Salami vom Magalitza-Schwein zu probieren und im großen historischen Keller des Weinkulturhauses Weine auszusuchen und eine Runde abzukühlen.
Und dabei reift der Wunsch, unbedingt wiederzukommen an den Neusiedler See. Gut möglich, dass das dann tatsächlich im Frühjahr sein wird.
Tipps:
Natur: Erster Anlaufpunkt zur Orientierung im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel ist das Informationszentrum in Illmitz, von dort aus starten auch viele der geführten Nationalpark-Exkursionen.
Geschichte: Wie ein idealtypisches Dorf im Seewinkel aussah und funktioniert hat, ist im Dorfmuseum Mönchhof zu erleben. – Ein privat initiiertes Freiluftmuseum, wie sich so schnell kein zweites findet. Außerdem lohnt in Eisenstadt, der auf der anderen, westlichen Seite des Neusiedler See gelegenen burgenländischen Landeshauptstadt, ein Besuch der Dauerausstellung „LebensBilder, LebensRäume, Lebensspuren“ im Landesmuseum Burgenland.
Wein: (Mindestens) Ein Besuch bei einem Heurigen ist ein Muss. In Gols sehr zu empflehlen ist der Heurige in der Kellergasse 32.
Gut schlafen: Bequem und familiär: Viele Winzer vermieten Gästezimmer. Sehr gemütlich und mit hervorragendem Frühstück zum Beispiel das Weingut Wendelin in Gols, von Andrea und Paul Wendelin.
Gut essen: Um regionale Spezialitäten wie Fisch aus dem Neusiedler See oder das Ungarische Steppenrind zu probieren, am besten den Slow-Food-Führer zu Rate führen oder an die Übersicht der Genuss-Regionen Österreich halten. Für hervorragenden Fisch beispielsweise im Restaurant Varga in Gols vorbeischauen.
Gut herumkommen: Wer im Nationalpark möglichst flexibel sein möchte, sollte am besten ein Fahrrad mitbringen. Alternativ gibt es einige Leih-Möglichkeiten, beispielsweise in Illmitz. Viele Ecken des Parks sind nur unmotorisiert zu erreichen und ein Rad verkürzt die Wege erheblich.
Transparenzhinweis: Bei der Recherche vor Ort haben mich die Neusiedler See Tourismus GmbH sowie Österreich Werbung mit einzelnen Leistungen unterstützt.