Gedanken am Wege

Bayern, wir haben ein Problem

Über das Aufweichen des Alpenplan und über Flächenfraß

Das Riedberger Horn ist vieles: Panorama-Pole-Position per excellence für die einen. Berg der Begehrlichkeiten für die anderen. Zankapfel für alle. Nur eines ist das Riedberger Horn längst nicht mehr: Ein x-beliebiger Alpengipfel.

Entsprechend schlurft man in diesen Spätherbst-Frühwinter-Tagen, nachdem es das erste Mal kräftig geschneit hat, vom Parkplatz Grasgehren nicht einfach mal so – mit Schneeschuhen, Tourenski oder Splitboard unter den Füßen – die eine Stunde den Berg hinauf. Stattdessen schaut man, wenn nach kurzer Zeit der von Osten hinaufziehende Berggrat erreicht ist, begeistert nach Norden zur Nagelfluh und nach Süden in die Allgäuer Hochalpen. Der Blick geht nach hinten, wo der Hochvogel thront. Und mit einem Lächeln im Gesicht, das nur noch von der strahlenden Sonne übertroffen wird, geht es weiter zum 1.787 Meter hohen Gipfel.

Unter Werbebroschüren-tauglich blauem Himmel kann es dort trotz der überschaubaren, vor-alpinen Höhe auch ordentlich windig sein und garstig ziehen. An diesem Gipfel also scheiden sich die Geister: 

Die Skischaukel am Riedberger Horn

Bisher gibt es am Riedberger Horn zwei kleine Skigebiete, die alles mitbringen, um sie als „familiär“ zu bezeichnen. Diese möchten die Betreiber jetzt durch eine Skischaukel, also eine 1,6 Kilometer lange Liftverbindung, zusammenschließen. Damit verspricht man sich vor allem eine bessere Anbindung des Skigebiets Grasgehren, das isoliert in einem Talkessel neben dem Riedbergpass liegt. Um diesen Pass mit Steigungen bis zu 16 Prozent zu erklimmen, braucht es im Winter oft genug Schneeketten; die hat man oder man bleibt an Neuschneetagen bisher vielfach weg. Die Skischaukel soll also die Attraktivität des Skigebiets erhöhen und damit eine besserer Konkurrenzfähigkeit vor allen mit den österreichischen, sprich: Tiroler Skigebieten gewährleisten.

Hinderlich sind die Schneebedingungen, selbst in diesem kleinen Hochtal rund um Balderschwang, das als Schneeloch gilt. Denn durch den Klimawandel kommt immer mehr Niederschlag nicht als Schnee, sondern als Regen zu Boden. Klima-Experten gehen in Modellrechnungen davon aus, dass das Gros der Bayerischen Alpen schon mittelfristig nicht mehr schneesicher ist, also 100 Tage am Stück Bedingungen zum Skifahren vorzufinden sind.

Ein Ja zur Skischaukel würde auch eine neue Verbindungsabfahrt bedeuten, die an einem Südhang gelegen wäre. Der Schnee apert dort durch die Sonneneinstrahlung besonders schnell aus; eine Armada Schneekanonen, gespeist aus einem neu anzulegenden Beschneiungsteich, könnten das zu erwartende Schnee-Manko voraussichtlich noch ein paar Winter kaschieren. Nur mit der Nachhaltigkeit – ökonomisch und ökologisch, gesellschaftlich wie touristisch – sollte man es nicht allzu genau nehmen.

Grasgehren, Allgäu: Schneesicherheit in Bayerns Schneeloch? – Mitte November 2017 laufen die Schneekanonen auf Hochtouren.

Der Alpenplan

Das größere Hindernis für die Skischaukel ist der Alpenplan. Der Alpenplan ist erst einmal nichts anderes als ein behördliches Planungsinstrument in Bayern, das 1972 in Kraft getreten ist. Zuvor, in den 1960er Jahren erlebten die bayerischen Alpen einen ziemlichen Wildwuchs an Seilbahnen und anderer Infrastruktur. Hätte man nicht ordnend eingegriffen, sähen wahrscheinlich viele Gipfel so wie der Wendelstein aus; mit Sicherheit hätte der Watzmann in den Berchtesgadener Alpen eine Seilbahn, ebenso wie der Geigelstein im Chiemgau. Statt dessen hatte der Ministerialbeamte Helmut Karl eine ziemlich plausible, damals aber revolutionäre, Idee: Der gesamte bayerische Alpenraum sollte in drei Zonen unterteilt werden. In Zone A, etwa 35 Prozent, ist die Erschließung grundsätzlich möglich, sofern sie umwelt- und raumverträglich sind. In Zone B, 23 Prozent, müssen neue Infrastrukturen besonders hohe landesplanerische Hürden überwinden. Zone C unterliegt dem strikten Schutz: Auf 42 Prozent der Fläche sind neue Infrastrukturen wie Seilbahnen oder Straßen (mit Ausnahme einzelner notwendiger Forst- oder Almwege) unzulässig.

Bekannt wurde dieses Instrument also unter dem Namen Alpenplan. Der Alpenplan wurde in einer Zeit gesetzlich bindend, als Bayern deutschlandweiter Vorreiter in Umweltfragen war: als erstes Bundesland hatte es 1970 ein Ministerium für Landentwicklung und Umweltfragen eingerichtet. Im gleichen Jahr wurde im Bayerischen Wald der erste deutsche Nationalpark gegründet.

Zurück zum Riedberger Horn: Genau in die am strengsten geschützte Zone C des Alpenplans fallen die geplante Skischaukel und neue Abfahrt. Problematisch, denn der strenge Schutzstatus gilt ohne Wenn und Aber. Eigentlich. 

Prädikat „schön“ – Kulturlandschaft rund um die Mittelalpe. Und Schutzzone C des Alpenplans. – Nördlich des Alpgebäudes würde das kupierte Gelände für die geplante Piste geplättet.

Wenn es da nicht die von der CSU gegen die Stimmen der Opposition durch den Bayerischen Landtag geprügelte Idee gäbe, den Alpenplan aufgrund der Baupläne am Riedberger Horn, die es schon ähnlich lang wie den Alpenplan gibt, zu ändern. 80 Hektar an einer Stelle rausschneiden, gut 300 Hektar an anderer Stelle anbappen.

Sachverständige führen aus, dass die alten und die neuen Flächen hinsichtlich ihrer ökologischen Qualitäten nicht miteinander zu vergleichen sind. Auch sonst äußerten sie sich ablehnend gegenüber dem Ansinnen, den Berg zu erschließen. Geologisch zu instabil ist er. Außerdem, so ergaben Zählungen, lebt am Riedberger Horn die wichtigste Population der vom Aussterben bedrohten Birkhühner – so viele Tiere, dass sie von hier sogar in andere Gegenden abwandern.

Das Symbol

So ist das Riedberger Horn auf den ersten Blick einfach ein Beispiel für das Ringen zwischen Wirtschaftswachstum und Naturschutz. Wobei: Das Abwägen zwischen diesen beiden Interessenspolen steckt an und für sich schon im Alpenplan und müsste gar nicht neu geklärt werden. Denn um nichts anderes geht es bei der Zonierung der bayerischen Alpen. 1972 war das Riedberger Horn der Zone C zugeordnet worden, da man schon damals der ökologische Qualität und der geologischen Problematik bewusst war. Und: Schon damals verstand man, dass es sich um einen besonders beliebten Ausflugsgipfel handelt, der einer extensiven touristischen Nutzung vorbehalten bleiben sollte.

Das Riedberger Horn ist damit im Kern zum Symbol einer immer weiter vordringenden Kommerzialisierung der Landschaft geworden. Und so versteckt sich hinter der aktuellen Diskussion eine viel tiefgreifendere Frage. Nämlich die, wie wir zukünftig leben wollen. Und was Heimat für uns bedeutet.

Ist Heimat schlicht ein geografischer Raum, in dem wir leben und arbeiten? – Und der immer bedingungsloser dem Diktat der größtmöglichen Rendite unterworfen ist? Oder ist Heimat nicht doch viel mehr? – Zum Beispiel eine Frage der Ästhetik, des ausgewogenen Landschaftsbildes. Genauso wie das Wissen, dort Rückzugsorte zu finden. Wo wir uns erholen können. Wohin wir zurückkommen können, nach Wochen oder Monaten, nach Jahren oder Jahrzehnten. Ein Platz, an dem wir uns geborgen fühlen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der Wert von Naturschutzgebieten und anderen geschützten Arealen, wie denen der C-Zone des Alpenplans gar nicht hoch genug bemessen. Denn gerade alte Kulturlandschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten nicht weiter erschlossen wurden, die nur extensiv bewirtschaftet werden, empfinden wir als „schön“.

Wenn man von der wirtschaftlichen Betrachtung nun also partout nicht lassen will: Auch für den Tourismus, immerhin einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Bayern, ist die Landschaft von immenser Bedeutung. Jeder Dritte kommt nach Bayern, weil er seinen Urlaub auf dem Land oder in den Bergen verbringen möchte. Bayern hinterlässt ordentlich Eindruck bei den Deutschen: 83 Prozent sagen: „Bayern steht für schöne Landschaft“, bei bayernerfahrenen Urlaubern sind es sogar neun von zehn Personen, die dieser Meinung sind. – „Noch“, möchte man hinterherschieben.

Werbebroschüren-Wetterchen am Riedberger Horn

Ein Symptom

Nun ließe sich sagen: Was interessiert uns (im Bayerischen Wald / an der Donau / in Würzburg / in Nordrhein-Westfalen / in den Niederlanden) das Riedberger Horn, das Allgäu und überhaupt der Alpenplan?

Viel, denn: Die Neuerschließungen am Riedberger Horn wären nurmehr ein Symptom einer viel umfassenderen Umwälzung. Der Alpenplan ist Bestandteil des bayerischen Landesentwicklungsprogramms (LEP). Mit ihm wird das Land als solches „geordnet“ und entwickelt werden.

Wer mit offenen Augen durch Bayern fährt, nimmt wahr: In nur wenigen Jahren hat sich das Land radikal gewandelt. Im bayerischen Alltag erleben wir – längst nicht mehr nur in den Städten, sondern auch in vielen Bergtälern – seit einigen Jahren einen immensen Flächenfraß: Immer größere Parkplätze, immer breitere Straßen, immer mehr Einkaufszentren und Gewerbegebiete, die autofreundlich und fußgängerfeindlich in die Landschaft wuchern. Wir umbauen uns mit einer charakterlosen Monotonie.

Mit der am 9. November 2017 vom Bayerischen Landtag verabschiedeten Fassung des LEP wurde nun obendrein das sogenannte Anbindungsgebot gelockert, womit Gewerbegebiete auf die sprichwörtlich grüne Wiese gesetzt werden können.

Das bedeutet weiteres Ungemach für unsere Augen und in den meisten Fällen einen Affront gegen jegliches ästhetisches Empfinden; genauso verstärkt diese Turbo-Zersiedelung den Druck auf Insekten und Vögel, deren Populationen in den letzten Jahrzehnten schon erschreckend zurückgegangen sind.

Drehen wir also die Entwicklungen einfach zehn, vielleicht auch zwanzig Jahre weiter. Wollen wir Bayern so leben? Und wollen die Gäste auf lange Sicht in einer Gegend urlauben, die genauso zersiedelt und ausgemergelt ist, wie im Zweifelsfall ihr eigener Wohnort?

Bayern, wir haben ein Problem! 

 

Für zahllose Menschen wird eine Zeit kommen, in der sie sich nach einem Lande sehnen und zu einem Fleck Erde flüchten, wo die moderne Kultur, Technik, Habgier und Hetze noch eine friedliche Stätte weit vom Lärm, Gewühl, Rauch und Staub der Städte übriggelassen hat.“

– Ludwig II von Bayern, König

 

Reden wir über Bayern

Bei aller Begeisterung für Bayern, bei allem „Oh, wie schön hier“ von Gästen und von uns Einheimischen: Lasst uns endlich – vor allem im Tourismus – ehrlich sein. Bayern ist nicht einzig eine Hochglanzbroschüren-Aneinanderkettung von wunderbaren Innenstädten, tollen Landschaftskulissen und pompösem wie exzentrischem Ludwig-II.-Erbe. Es gibt so viele mindestens fragwürdige Zwischenräume, in denen wir uns täglich bewegen, die jedes Jahr mehr werden und die das Gesicht von Bayern langfristig prägen.

Um das Land nachhaltig zu gestalten, braucht es starke, zukunftsorientierte Instrumente, die Wirtschaftsentwicklung und Heimatschutz tatsächlich ausbalancieren. Wie ein LEP, das die Landschaft nicht weiter gnadenlos zerfrisst. Und einen uneingeschränkten Alpenplan.

 

Zum Weiterlesen:

„Der Tourismus lebt von einer intakten Umwelt. Die Bayerische Staatsregierung setzt deshalb verstärkt auf eine umweltverträgliche Tourismusentwicklung und bekennt sich zur Vorreiterrolle des Freistaats Bayern beim sachgerechten Ausgleich von Ökologie und Ökonomie. Der Faktor Ökologie ist dabei eine Trumpfkarte für die zukünftige Tourismusentwicklung. Der Klimawandel stellt den Tourismussektor vor große Herausforderungen, bietet aber auch Chancen.“ – Eine der Kernbotschaften des aktuell gültigen Tourismuspolitischen Konzepts der Bayerischen Staatsregierung von 2010.

„Der ehemals weiche Faktor Nachhaltigkeit ist zum harten Faktor geworden, bringt Urlauber an den Ort und lässt einen Tourismuszweig wachsen, der nicht nur auf Schnee angewiesen ist.“ – in: Schnee von morgen – Umfassende Schnee-Datenanalyse des Bayerischen Rundfunk.

„Der Alpenplan soll nicht den Partikularinteressen geopfert werden.“ – (weiterhin gültige) Petition zum uneingeschränkten Erhalt des Alpenplan.

Alpen unter Druck – Dokumentation zur gleichnamigen Ausstellung im Alpinen Museum in München (2014/2015).

Statt mit immer mehr Schneekanonen auf immer winter-grünere Hänge zu schießen, sind konsequent Ressourcen-schonende Tourismusangebote gefragt. – Buch-Tipp: „Who moved my cheese?“ – Die Mäusestrategie für Manager. Veränderungen erfolgreich begegnen.

„In Bayern wurden in den letzten Jahren im Schnitt 13,1 Hektar Fläche täglich zugebaut. Das entspricht mehr als 18 Fußballfeldern. Auf das ganze Jahr gerechnet sind es 4.781 Hektar, in etwa eine Fläche von der Größe des Ammersees.“ – Informationen zum Volksbegehren „Betonflut eindämmen“.

Bayern Schattenseiten – Fotodokumentation zum Flächenfraß in Bayern von Robert Schlaug. Gibt’s auch als Buch.

Gemeinsam mit mehr als 100 Outdoor-Bloggern mache ich mich auch weiterhin für den uneingeschränkten Erhalt des Alpenplan stark. #BloggerproAlpenplan #dankeAlpenplan

 

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