Unterwegs in den katalanischen Vorpyrenäen
Leicht verdattert schauen wir nach allen Seiten, nachdem wir am Straßenrand halten. Wer sich wohl gerade mehr erschrocken hat? – Er, als wir auf die Bergkuppe gebrummt kamen? Oder wir, als er mit kraftvollem Flügelschlag vom Boden abhob und in den weiten Himmel entschwand?
Was zum Geier? – Fahren nach Wanderkarte
Die Straßen in der Sierra del Montsec, einem Gebirgszug in den südlichen Vorpyrenäen, sind schnell mal schmal. Weil es weiter unten einen Felssturz gegeben hatte, wies uns eine Umleitung unmissverständlich weit hinauf auf den Berg. Auf eine Wegführung, die in unserem Navi nicht existierte, die aber immerhin in unserer Wanderapp auszumachen war. Wir vertrauten und folgten. Vorsichtig, mit maximal 40 km/h über verschlungene Sträßchen und zwischendurch ruppige Pisten.
Und nun also er! Nachdem wir erst zwei, drei und dann unzählige weitere Tiere ausmachen, ist klar: Es müssen Geier sein. Genauer gesagt: Gänsegeier, wie ich später bestätigt bekomme. Ihnen in Spanien zu begegnen, ist gar nicht so außergewöhnlich; die meisten der europäischen Gänsegeier leben auf der Iberischen Halbinsel, geschätzte 20.000 Brutpaare.
Dass nun aber tatsächlich mehr als hundert Gänsegeier in der Thermik des frühen Nachmittags über uns kreisen, lässt uns staunen. Auf kurvigem Weg halten wir immer wieder an, weil wir den Tieren so unglaublich nahe kommen. Es scheint ausgemacht, dass das hier oben ihr Revier ist. Wir wollen das respektieren und genießen.
Intergalaktisch
Auch am Abend gucken wir in den Himmel. Dieses Mal in der Sternwarte vom Montsec. Genau genommen stehen hier gleich zwei Sternwarten am Berg: Hinter uns, weiter den Berg hinauf, thront eines der wichtigsten Observatorien Südeuropas, das wissenschaftlich genutzte Observatori Astronòmic del Montsec. Weiter unten und auch im Dunklen gut zu erreichen, bringt der Parc Astronòmic Montsec interessierten Laien Wissenswertes rund um die Sterne und das Universum nah.
Da Spanien in weiten Teilen recht dünn besiedelt ist, ist vielerorts auch die Lichtverschmutzung relativ gering. – Abseits von Madrid und etwas weg von der stark bevölkerten Küste findet sich deshalb schnell ein Plätzchen, um richtig gut die Sterne zu beobachten. Der Montsec ist eines von aktuell etwa einem Dutzend Sternlicht-Reservaten (Starlight Reserves), die das Ziel haben, diesen Nachthimmel zu schützen und astronomisches Wissen zu vermitteln.
Im Parc Astronòmic Montsec bekommen wir jeder eine 3D-Brille in die Hand, ich statte mich zusätzlich mit einem Kopfhörer aus, fürs Englische. Kurzerhand richten wir uns in den gemütlichen Kinosesseln ein, dann geht‘s los. – Ein Animationsfilm erklärt den Urknall, das Werden der Materie und das Entstehen von Leben. Kurz, griffig, spielerisch, leicht verständlich. Irgendwie. Denn gleichzeitig beschleicht mich wie immer, wenn ich beginne über das Universum nachzudenken, das Gefühl, dass das alles eine Nummer zu groß ist, um es wirklich zu verstehen. Allein schon der Gedanke, dass sich der Raum immer weiter ausdehnt …
Im Anschluss an den Film wird es wieder greifbarer: während wir hoch in ein künstliches Himmelszelt schauen, erklärt uns ein Sternwarten-Guide einige gängige Planeten und Sternzeichen. Und dann kommt‘s – während wir das ganze auf uns wirken lassen, geht erst eine Art Bühnenvorhang auf und dann das komplette Kuppeldach. Der Blick auf den „echten“ Sternhimmel ist frei. Dieser nahtlose Übergang von Projektion und Wirklichkeit hat etwas Surreales: Während wir noch immer in unseren bequemen Sesseln fläzen, dauert es eine Weile, bis wir und auch der Letzte im Saal verstanden hat, was da gerade passiert. Mit einer Art Mega-Laserpointer lenkt der Guide nun den Blick abermals auf einzelne Sternkonstellationen.
Später wechseln wir die Location und gehen in einen kleinen Raum, in dem eines der leistungsfähigsten Teleskope von Katalonien aufgebaut ist. Wir erleben, wie Wissenschaftler mit der geeigneten Technik und einem Quäntchen Bildverarbeitung zu ihren Abbildungen kommen, mit denen sie arbeiten und immer neue Details in den Tiefen des Universums erforschen können. Abschließend können wir draußen noch selbst durch ein kleineres Teleskop schauen. Doch der Blick in den Himmel ist an diesem Abend auch ohne Hilfsmittel einfach fantastisch.
Schluchtenwandern im Congost de Mont-Rebei
Lammfromm wie über der Sternwarte zeigt sich der Himmel auch am nächsten Morgen über der Schlucht von Mont-Rebei. Nur hier und da schleiert eine Wolke über dem tiefen Einschnitt, den der Fluss Noguera Ribagorçana auf seinem Weg durch den Kalkstein des Sierra del Montsec-Gebirgsrückens geschliffen hat.
Mit einem Wasser-Taxi schippern wir über das türkisblaue Wasser, von dem aus links und rechts die erodierten Felsen mehr als 500 Meter senkrecht gen Himmel ragen. Noch lieber säße ich jetzt in einem der Kanus, die an diesem Feiertagswochenende zu Dutzenden durch die Schlucht gleiten.
Viele Schlucht-Besucher kombinieren eine Boots- mit einer Wanderrunde und auch wir steigen unterhalb einer Hängebrücke, die elegant Katalonien und Aragon verbindet, an Land. Von der improvisierten Anlegestelle tasten wir uns an einem ebenso provisorisch vertäuten Seil über eine kleine Felsstufe zum eigentlichen Weg hinauf. Kurz über die Brücke gewackelt und dann recht unschwierig und im leichten Auf und Ab zur eigentlichen Engstelle der Schlucht. Imposant schieben sich die Felsen dort auf bis zu 20 Meter zusammen. Bevor der Lauf der Noguera Ribagorçana in den 1960er Jahren aufgestaut wurde, verlief ein Weg viel weiter unten neben dem Fluss. Heute hangeln sich Wanderer weit über dem Wasser über einen ziemlich spektakulären Weg. Wobei – so schmal, wie der Pfad auf vielen Bildern scheint, ist er in Wirklichkeit nicht. Ernsthafte Probleme mit der Höhe und mit ansatzweise ausgesetzten Stellen braucht hier dennoch niemand.
Lange war die Schlucht ziemlich unbekannt, erst in den letzten Jahren hat der Zulauf deutlich zugenommen. Immer wieder bleiben wir stehen – um entgegenkommende Wanderer durchzulassen, um Fotos zu machen oder um einfach den Blick zu genießen. Der Congost de Mont-Rebei wird als das mitunter Spektakulärste gehandelt, was die spanischen Vorpyrenäen zu bieten haben. Aus gutem Grund, wie sich zeigt.
Tipps
Unterkunft: In Os de Balaguer in den südlichen Mont-Sec-Ausläufern liegt das Monastir de Santa Maria de Bellpuig de les Avellanes. Das Kloster hat eine ziemlich wechselvolle Geschichte und ist heute noch aktiv. Die Hotelzimmer sind einfach eingerichtet, die Betten göttlich bequem. Vom Restaurant im ehemaligen Refraktorium sieht man in den schlichten romanischen Kreuzgang, in dem sich am frühen Abend die Sonnenstrahlen im Müßiggang verfangen. Auch das Kloster liegt noch innerhalb des Starlight Reserve, zum Observatorium ist es eine knappe halbe Stunde mit dem Auto. Bevor es zum Observatorium geht, kann man sich noch bei einem Astronomischen Menü auf den Abend einstimmen – angefangen mit dem Blauen Riesen, über den Krater der Venus und die Mitternachtssonne bis hin zur Galaxien-Kollision.
Parc Astronòmic Montsec: Wenn man in der Gegend ist, dann ist die Sternwarte ein Muss für Sternengucker und alle, die es werden wollen. Einzige Voraussetzung: idealerweise Katalanisch-, mindestens Spanisch-Kenntnisse. Den 3D-Film gibt’s per Kopfhörer auch auf Englisch oder Französisch; das restliche Programm lässt man alternativ einfach „primär visuell“ auf sich wirken. Mehrere Abendveranstaltungen, was sich lohnt, da der Himmel in der Region überdurchschnittlich dunkel ist und sich besonders viele Sterne zeigen.
Congost de Mont-Rebei: etwas Organisation vorab, da die erste Orientierung durch den riesigen Stausee nicht ganz einfach ist: Die Schlucht lässt sich von insgesamt drei (bzw. vier) Parkplätzen ansteuern – einer ist auf aragonesischer Seite, beim Refugio de Montfalcó; zwei sind auf katalanischer Seite, bei Pont de Montanyana der Parking La Masieta bzw. bei Corça der Parking Corça – Congost Mont-rebei. Letzterer ist etwas weiter entfernt als die anderen Parkplätze, von hier muss man das erste Stück über den Stausee per Kayak oder Wassertaxi zurücklegen. Alternativ kann man bei Corça, weiter oben, den Parkplatz in der Nähe der Einsiedelei Ermita de la Pertusa wählen, die Wanderung von dort ist ein gutes Stück länger.
Für die eigentliche Engstelle der Schlucht muss man eine gute Stunde pro Richtung veranschlagen. Wer von Corça aus paddelnd zur Schlucht kommt, macht einen Tagesausflug daraus. Selbst mit dem Wassertaxi ist es alles in allem noch eine reichliche Halbtagestour. Highlight auf aragonesischer Seite sind zwei hohe (!) Holztreppen, über die man in der Verlängerung zum Refugio de Montfalcó (eine Hütte des Aragonesischen Bergsteigerverbands FAM) gelangt und wo sich auch übernachten lässt. Ausreichend Verpflegung, vor allem Wasser für die Schluchtenwanderung mitnehmen. Sonnenschutz nicht vergessen.
Beste Zeit: Für den Congost de Mont-Rebei sind der Frühsommer (Mai/Juni) sowie der Herbst (September/Oktober) ideal. Im Hochsommer, vor allem an (Feiertags-)Wochenenden kann es schnell voll und heiß werden. Bei Brandgefahr werden die Schlucht bzw. auch andere Wanderrouten im Montsec-Gebiet geschlossen. Liegt der Fokus auf der Astronomie, bietet sich wiederum die Zeit der Perseiden in der ersten Augusthälfte an – Sternschnuppenalarm.
Transparenzhinweis: In die Sierra del Montsec hat es mich auf Einladung der Tourismusorganisation Ara Lleida geführt.
Wenn du mehr lesen möchtest über diese Gegend und überhaupt über Katalonien und Spanien, dann schau auch bei Nicole von Freibeuter Reisen vorbei, mit der gemeinsam ich diese Pressereise unternommen habe.