Im Land der Sami
Eine Wanderung auf dem Kungsleden, dem Königspfad, soll es sein! Er wird als einer der weltweit schönsten Fernwanderwege gehandelt. In den letzten Jahren ist er zwar immer bekannter geworden; doch mit mitteleuropäischen „Wanderautobahnen“ ist er weiter nicht vergleichbar.
Der Blick aus dem Zugfenster lässt erahnen, welche Weite wir in den nächsten Tagen erwarten können. Seit Stunden nur selten ein Bahnhof, ebenso wenig Häuser, sonst nur Wald, Wiesen, Seen …
Dann – 17 Zugstunden von Stockholm entfernt – unser Ziel. Zeit zum Aussteigen: Abisko im nördlichen Schweden, in Lappland, dem Land der Sami.
Die Bahnstation liegt verloren in der Landschaft. Ein kleines Holzhäuschen und ein paar Aussteigende mit Rucksäcken lassen uns aber wissen: Hier sind auch wir richtig.
Was wir nach kurzem Wandern erblicken, ist eine phantastische Hochgebirgslandschaft – der skandinavische Gebirgsrücken, das Fjäll. Auf den ersten Blick weniger spektakulär als andere Hochgebirge, bekommt es seinen Reiz durch die sanft dahinrollenden Bergrücken, die endlose Weite, an die sich das Auge erst gewöhnen muss. Die Vegetation ist durch das strenge Klima geprägt, welches den Pflanzen nur wenige Wochen im Jahr lässt um zu wachsen.
Im Wald aus Krüppelbirken finden wir ein Sami-Dorf. Schon von weither können wir ein Hausdach erkennen. Doch unsere Augen lassen sich täuschen: Vermeintlich „zum Greifen nah“, heißt es noch gut zwei Stunden zu wandern, bevor wir die Ansiedlung erreichen.
In der Ansiedlung treffen wir niemanden. – Die einen sind im Sommer mit ihren Rentieren auf Wanderschaft. Die anderen haben dem Norden für immer den Rücken zugewendet. Sie gingen in Städte Südschwedens. Auf der Suche nach einem besseren Leben. Die Hütten sind einfach gebaut. Klein. Viel Platz kann in ihnen nicht sein. Wir finden auch eine einzelne Kote – die ursprüngliche Behausung der Sami. Gebaut aus den Materialien, die die Natur hergibt – mit Birkenstämmen abgestützt, auf dem Dach wachsen Blumen, Gräser und Moose. Extensiv-Begrünung würde das heute in der Stadt heißen. Eigenwillig ist ein kleines Fenster eingesetzt, welches jetzt durch einen Holzverschlag geschützt ist.
Neben der Kote ein Stapel Brennholz. – Die Nächte, aber auch die Tage können hier kalt werden. Mitte August haben wir morgens selten mehr als 5 Grad Außentemperatur. Auf einer Höhe von gerade mal 1.000 Metern.
Nach Überschreiten der Baumgrenze werden die Berge karg. Wo wir anfangs auf niedrige Büsche und Moose schauen, bestimmen bald einzig Flechten auf den Steinen das Bild. Wir erblicken erste Schneefelder, in der Ferne Gletscher. Das Laufen über die Geröllfelder gestaltet sich zunehmend schwierig. Aber die Eindrücke entschädigen. Auch den eisigen Gebirgsbach, den es zu durchwaten gilt, meistern wir so. An manchen Tagen ist es mild genug, um sich in den Schlafsack zu mummeln und ein Stündchen unter der Weite des Himmels zu ruhen.
Täglich ändert sich das Gesicht des Fjälls. Eines Tages sind die Bergkuppen in tiefen Nebel getaucht. Bei der Überquerung eines Passes ist es uns kaum möglich, hundert Meter weit zu blicken. Mitten in riesigen Geröllfeldern wirkt das umliegende Massiv gespenstisch erdrückend. Spätestens jetzt sind wir froh über die kleinen Steinpyramiden, die hier und da aufgetürmt wurden, um den Wanderern den Weg zu weisen.
Aus dem Nichts taucht unser Tagesziel auf. Eine jener Hütten, die die Wanderer beherbergt. Die Freude ist groß, als wir in ein warmes Zimmerchen treten – vor uns sind bereits Wanderer aus einer anderen Richtung gekommen und sorgten für das wohlige Knistern im Ofen.
Der Luxus der Hütten besteht aus einem Gaskocher und einem Ofen, für den das Brennholz natürlich selbst gehackt wird; „fließend“ Wasser aus dem Bach und einem stillen, kalten Örtchen irgendwo nebenan. Dazu die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, Tipps zu geben, gemeinsam die Ruhe zu genießen. Auch wenn die Sonne schon längst die diesjährige Mittsommernacht hinter sich hat, kann von wahrer Dunkelheit keine Rede sein.
Auch am nächsten Morgen dichter Nebel bis tief ins Tal. Bedächtig werden Teile des Bergmassivs freigegeben, bevor sie wieder gierig vom Grau verschlungen sind. Mit unserem Gepäck auf dem Rücken, welches wohl noch immer 15kg wiegt, ist es sehr warm beim Laufen. Doch langes Stehenbleiben ist nicht möglich. Zu kalt weht der Wind, findet Eingang in jede noch so kleine Öffnung der Kleidung. Ein Zeichen, die Mütze noch tiefer ins Gesicht zu schieben und die Handschuhe anzuziehen.
Vor wenigen Tagen schon, noch im Krüppelbirkenwald, blieben wir auf dem Pfad stehen. Wir waren aufmerksam geworden auf etwas, das sich im Gebüsch bewegte. Aus wenigen Metern Entfernung sahen uns zwei Rentieraugen aufmerksam an. Sie musterten uns lange, bevor sich das Tier wieder dem spärlichen Grün zuwandte und schließlich im Dickicht verschwand. Später können wir kleinere Gruppen von Rentieren beobachten, die sich an den Gräsern laben.
Obwohl es mehrere tausend Menschen jährlich sind, die es in diese Gegend ohne Straßen zieht, begegnen wir nur wenigen. Weicht man auch mal auf kleinere Wanderwege links und rechts des Kungsleden aus – die Natur ist dort genauso schön – ist die Chance groß, selbst am Abend in der Hütte nur eine Handvoll Personen anzutreffen.
Die Zivilisation scheint uns eingeholt zu haben, als wir in der Kebnekaise Fjällstation das erste fließende Wasser aus der Leitung entnehmen, elektrisches Licht statt eines spärlichen Kerzenschimmers nutzen. Es heißt Abschied nehmen von den Bergen, deren ursprüngliche samischen Namen man häufig schwer aussprechen kann. Abschied nehmen von den Tälern mit unzähligen Bächen, Flüssen und Flüsschen. Wir erreichen eine Ansiedlung mit asphaltierter Straße. Von hier bringt uns der Bus nach Kiruna. Gerade eine Zugstunde liegt diese Stadt von unserem Ausgangsort Abisko entfernt – für uns aber wundervolle zwei Wochen im Land der Sami.
Tipps:
Auf dem Kungleden können an einzelnen Tagen ordentlich Kilometer und auch Höhenmeter zu wandern sein. Insgesamt lässt der Weg jedoch einfach begehen und ist auch für Anfänger geeignet. Flachlandtiroler von Geburt, war es für mich vor vielen Jahren die überhaupt erste größere Wanderung.
Auf vielen Hütten können Wanderer den notwendigsten Proviant (und mehr) kaufen. Jedoch nicht überall – für die genauere Planung gibt der Schwedische Touristenverband (STF) Auskunft.
Geeignete Wanderetappen auf dem nördlichen Kungsleden führen von Abisko (mit einigen Abstechern, wie von uns vorgenommen) zur Kebneskaise Fjällstation und nach Nikkaluokta. Als eine nächste Etappe bietet sich der Abschnitt weiter Richtung Süden bis nach Vakkotavare an. Diese beiden Abschnitte sind besonders interessant für Wander-Neulinge und alle, die nicht extra das Zelt mitnehmen wollen: Hier lässt sich ununterbrochen das STF-Hüttennetz nutzen. Südlich von Vakkotavare findet sich ein Abschnitt, bei dem der Kungsleden den Sarek streift. – Und auf dem ein Zelt notwendig ist.
Besonders abwechslungsreich ist es, nicht „stur“ dem Kungsleden zu folgen, sondern den einen oder anderen Schlenker auf benachbarte Hütten zu gehen.
Günstig ist es, auch hier im Norden die klassischen Hauptwanderzeiten im Juli und August zu meiden. Ich habe Touren Ende Juni sowie Mitte August unternommen (die letzte 2007). Unmittelbar auf dem Kungsleden waren die Hütten bei meiner August-Wanderung gut besucht. Anders einfach eine Tageswanderung „daneben“ und im Juni: Die Hütten waren selten voll, oft waren die Wanderer an einer Hand abzuzählen.
PS: Durch den seit einigen Jahren veranstalteten Trekking-Wettbewerb Fjällräven Classic ist der Kungsleden auch in Deutschland deutlich bekannter geworden. Bevor ihr euren Skandinavien-Urlaub konkret plant: Prüft, ob diese oder eine ähnliche Großveranstaltung (mit mitunter mehr als 2.000 Teilnehmern) erneut aufgelegt wird. Eine kurze Anfrage beim STF dürfte ausreichen. Es wäre schade, ihr sucht die Einsamkeit und landet mitten im Event …
Literatur:
Wohl als Klassiker für deutsche Wanderer ist das „Outdoor-Handbuch Kungsleden“ – eigentlich eher ein Büchlein – aus dem Conrad Stein-Verlag zu nennen. An vielen Stellen sind die Beschreibungen etwas knapp geraten. Ein ausführliches Kartenstudium ist daher nicht nur für Anfänger vor der Wanderung sinnvoll.