Im Bad Kohlgrub Moor
Der Tag saut sich ein.
Fieser Schneeregen graupelt
Garstig übers Land.
Aber ich wollte ja raus. Genau genommen hätten sich diese Tage kaum besser geben können. Mitte März. In den Orten deutet sich zaghaft der Frühling an. Doch die Bergkulisse steht noch deutlich im Zeichen des Winters.
Und das Moor? Es gibt sich als ein Zwischenraum. Oder vielmehr als ein Zwischenmoment. Nicht mehr dieses, aber noch nicht jenes. Eine Metamorphose von weiß auf grün. Oder präziser: eine Metamorphose von totgrau auf lebendig braun. Wobei es selbst diese Beschreibung noch nicht so ganz trifft. Denn im Moor wimmelt auch im Winter das Leben. Nur eben lebt das Leben langsamer.
In Bad Kohlgrub war ich gestartet, bin am Dorfrand über den kurzen Moorlehrpad geschlendert. Am Wegrand sah ich Bagger und anderes verrostetes Gerät, mit dem in den Hoch-Zeiten des Kohlgruber Kurbetriebs die Hotels Moor aus ihren jeweiligen Stichen holten. Die Greifschaufel eines weiteren Baggers ein paar Meter weiter sah nicht weniger alt aus, erfüllte aber offensichtlich noch immer ihren eigentlichen Zweck, sich hin und wieder in die Erde hineinzubeißen und ein Stück des moorastigen Bodens herauszuheben, der dann für Moorbäder genutzt wird.
Tage wie diese holen kaum jemanden hinter dem Ofen hervor. Während ich meinem Weg folge, kriecht ein Grauschleier die Hänge herunter. Am Bayersoiener See ist klar: die Wettervorhersage soll Recht behalten. Ich stemme den Regenschirm in den Wind, halte das gröbste Graupeln ab und schlage einen großen Bogen durch das Geizenmoos und zurück nach Kohlgrub ein.
Wetter hin oder her – dass ich dann doch immer anhalte, liegt einer Reihe von Holzstelen, die auf den nächsten Kilometern ins Moor gepflanzt sind: Jede der Stelen trägt ein kurzes Gedicht aus 17 Silben – Haikus. Diese japanische Gedichtform entstand im 17. Jahrhundert in Japan und ist dort bis heute überaus beliebt. Ein klassisches Haiku besteht aus drei Zeilen mit fünf + sieben + fünf Silben. Oft drehen sich Haikus um Naturwahrnehmungen; gerne mal erzählen sie mehr über die Dinge als über die Gefühle.
An der Kohlgruber Rochus-Kapelle überlasse ich die letzten Haiku-Stelen sich selbst und schwenke in mein Hotel ab. Ich merke, dass meine Hände immer kälter, meine Schritte immer schneller werden. So verfroren, wie ich inzwischen bin, könnte ich glatt sofort ein Moorbad nehmen. Tatsächlich muss ich mich für’s erste mit einer heißen Dusche begnügen, ein Bad gibt es erst am nächsten Tag.
Moorkuren und -therapien haben in den Ammergauer Alpen Tradition. Alles begann 1871 mit einer „Curanstalt“ im Ortsteil Gager in Bad Kohlgrub. Später gab es Zeiten, in denen Bad Kohlgruber Moor-Gäste die Wahl zwischen mehr als 30 Kurhotels und Badeanstalten hatten. Dann kam die Gesundheitsreform. Seither darf sich einigermaßen glücklich schätzen, wer noch eine Kur verschrieben bekommt. Stattdessen wird mehr gewellnesst. Und nur noch in etwa einer Handvoll Kur- und Badebetrieben kommt man heute in Bad Kohlgrub in den Genuss von Moorbädern; kann damit vor allem Gelenke entlasten und allerlei Schmerzen vertreiben.
Dass Bad Kohlgrub Moor, genauer gesagt das hiesige Bergkiefernhochmoor, anders ist als sonst wo, erfahre ich am nächsten Morgen: extrem dickflüssig kommt es daher, weshalb mir die Badefrau im Bio-Kurhotel moor&mehr auch beim Darin-Bequemmachen hilft: während ich mein rechtes Bein in den dunkelblauen Holzzuber setze und es im zähen Brei versinken sehe, darf ich mich an ihr abstützen. Ich ziehe mein linkes Bein nach und lasse mich vorsichtig in den braunen Brei sacken; mit ihren Händen schaufelt die Badefrau nun gekonnt das Moor erst auf meine Beine, dann auf den ganzen Körper. Nur das Herz lässt sie aus. „Da leg ich eine Kälteflasche auf, das ist besser für den Kreislauf“.
Dann bin ich mir selbst überlassen. Ich schaue mich in der weiß gekachelten Moorbadekabine um. In der Wand gegenüber der Tür ist eine etwa ein mal ein Meter große, bodennahe und durch eine Stahlplatte geschlossene Luke. Nach Wellness-Chichi sieht es hier nicht aus, statt dessen denke ich an die Nüchternheit einer Metzgerei und an die Erhabenheit des Zauberberg. Nach ein paar Minuten kommt die Badefrau wieder vorbei, erkundigt sich nach meinem Befinden, tupft meine inzwischen schweißnasse Stirn mit einem kalten Tuch ab und lässt mich wieder mit meinem Wohlsein allein.
Ich schließe die Augen. Genieße die Zeit im Zuber. Das merkbare Entspannen aller Muskeln. Das Gefühl einer grundtiefen Wärme, die sich durch meinen Körper arbeitet. Um bis zu eineinhalb Grad erhöht sich die Körperkerntemperatur im warmen Moor.
Nach einer kleinen, angenehmen Ewigkeit von gut einer viertel Stunde entsteige ich dem Baaz. Während die Badefrau gerade anfängt mich abzubrausen – allerspätestens jetzt erklärt sich auch der Kachelcharme – öffnet sich die Luke an der Wand und ein paar Gummistiefel gucken in den Raum. Meine moorverschmierten Füße gucken zurück.
„Das ist der Moormann“, erfahre ich. Auf meinen fragenden Blick die Erklärung: Der Moormann holt den Torf aus dem Moor, mahlt und rührt es, verdünnt es mit Quellwasser zur richtigen Konsistenz, erwärmt es zu guter Letzt für die Anwendung. Und jetzt befördert er, ein bisschen wie von Geisterhand, den Zuber wieder aus meiner Badekabine. Denn der Torf ist nun abgebadet und wird wieder ins Moor gebracht, wo sich die Masse im Laufe der nächsten zehn Jahre regeneriert.
Ich bin fertiggebraust. Noch den ganzen Tag wird mein Körper nachglühen. Jetzt erst mal in die Horizontale und ruhen. Denn auch ich bin vor allem eins: platt. Abgebadet. Später finde ich mich auf dem Sofa wieder, höre dem Sturm beim Stürmen zu und beobachte ausgiebig, wie er die März-kahlen Baumkronen zerzaust. Soll sich doch auch dieser Tag ruhig einsauen!
Transparenzhinweis: In den Genuss des Moorbads bin ich während einer Recherche auf Einladung der Ammergauer Alpen GmbH gekommen.