An der Amrumer Odde
Doch, doch, da kommt ihr rum“, zerstreute die ältere Frau meine Bedenken. Wir standen am Nordseestrand von Norddorf auf Amrum. Der Wind drückte die Meerwellen bis weit an die Dünen. Unseren Plan, von hier aus auf dem Kniepsand nach Süden zu spazieren, hatten wir wegen des hohen Wasserstands gerade verworfen. Stattdessen also vielleicht nach Norden?
Es war Mitte Februar. Am Vorabend waren wir mit der Fähre auf Amrum angekommen und vom Hafen in Wittdün hatte uns der Bus bis nach Norddorf gebracht.
Gerade mal zehn Kilometer Länge misst die Insel – klein genug, um sie wandernd zu erkunden. Wir wussten schon grob, welche Möglichkeiten uns zu Fuß offenstanden. Was wir nicht wirklich wussten: wieviele dieser Optionen der starke Wintersturm einschränken würde, der schon seit Tagen und noch immer an der Insel zerrte und nagte.
Unsere Strand-Bekanntschaft genoss, wie sie uns noch erzählte, gerade die letzten Stunden ihres einwöchigen Aufenthalts; seit vielen Jahren komme sie im Winter nach Amrum. Wir indes waren zum überhaupt ersten Mal auf dem kleinen Eiland, hatten vom Toben und Blasen der winterlichen Stürme keine Ahnung – und vertrauten der Empfehlung der urlaubenden Inselexpertin.
Da und dort verloren sich andere Strandwanderer. Verteilt als kleine, bunte Punkte entlang des schmalen, blassgelben Sandstreifens. Links das tosende Meer, rechts das rauschende Dünengras.
Die Amrumer Odde streckt sich am nördlichen Ende der Insel schmal und spitz ins Meer. Große Teile der Landzunge stehen unter Naturschutz, denn in dem Dünengürtel nisten jede Menge Seevögel, vor allem Silber- und Heringsmöven, neben vielen Eiderenten. Außerdem rasten hier verschiedene Vogelarten oder überwintern ganz und gar.
Unter meiner Wollmütze und der Kapuze meiner Jacke fühlte ich mich wie abgekapselt vom Rest der Welt. Allein mit dem Brausen des Windes im Ohr, dem lauten Rascheln und Reiben des dünnen Kunststoffs, der mich vor dem Wetter schützte. Der böige Wind wirbelte feinste, salzige Wassertröpfchen vor sich her. Fuhr meine Zunge über die Lippen, schmeckte ich das Meer.
Wir ließen uns vom Wind nach Norden treiben. Lauschten ihm. Blieben immer wieder stehen, schauten diesem kraftvollen Tanz der Elemente zu. Ließen ihn an uns rütteln. Ein gutes Stück weiter war der Strandsand trotz Ebbe reichlich durchtränkt. Auf einem letzten einigermaßen trocken verbliebenen Streifen setzten wir behutsam einen Schritt vor den anderen, während der Boden schmatzte, dann lag die Schmalstelle hinter uns. Bald darauf dreht die Strandlinie etwas ab, wir hatten die eigentliche Nordspitze erreicht. Sylt schien zum Greifen nah, nur Föhr noch näher.
Hier oben laufen die Dünen flach aus und eine kleine Holzbrücke weist die Stelle, an der die fragile Sandlandschaft zu überschreiten ist, um zur Wattseite und damit zu unserem Rückweg zu gelangen. – Der ideale Punkt auch für eine kleine Pause, denn hier war es geradezu windstill. Ich fingerte im Rucksack nach der Thermoskanne und wir genossen bald einen heißen Schluck Tee. Nicht, ohne dabei immer wieder auch durchs Fernglas zu schauen und damit die Seehunde noch ein bisschen weiter heranzuholen, die es sich ihrerseits in den Dünen an einem einigermaßen windgeschützten Plätzchen bequem gemacht hatten, wo sie den Mittag wegdösten.
Später, nachdem wir den wattseitigen Rückweg nach Norddorf gefunden hatten, trete ich im Licht der untergehenden Sonne auf die Terrasse unserer Ferienwohnung. Für einen Moment ist es windstill. Mein Blick gleitet vorbei an reetgedeckten Häusern und über eingedeichte Wiesen, die Dünen entlang. Ganz am Ende erahne ich die Nordspitze von Amrum. Ob die Seehunde ihre Siesta beendet haben? Ich will meine jedenfalls gleich drinnen, auf dem Sofa nachholen und dabei ein wenig im angefangenen Amrum-Krimi weiterlesen. Während sich draußen die Elemente bald wieder einem neuen Tanz hingeben werden.