Hope Bridges Adams Lehmann
Als wandernde Frontfrau der Medizingeschichte ließe sie sich salopp beschreiben: Hope Bridges Adams Lehmann. Sie war Ärztin und Sozialreformerin und wirkte ab 1896 in München.
Um genau zu sein: Hope war die erste in München praktizierende Ärztin. Überhaupt war sie die erste Frau, die in Deutschland ein medizinisches Staatsexamen abgelegt hatte. Bis zur Jahrhundertwende sollte sie die einzige bleiben.
Studium in Leipzig
Aber von vorn: Hope Bridges Adams kam 1855 in England zur Welt. Nach dem Tod ihres Vaters ging Hope im Alter von 17 Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter nach Dresden. Sie lernte Deutsch. Da Frauen der reguläre Zugang zum Studium noch verwehrt war, schrieb sie sich einige Jahre später an der Universität Leipzig als Gasthörerin in Medizin ein. Ihre Examensprüfungen legte sie 1880 ab. Den Doktortitel durfte sie allerdings erst knapp ein Vierteljahrhundert nach Abschluss ihres Studiums führen.
Hope, das wird beim Lesen ihrer Biografie schnell klar, war eine höchst außergewöhnliche Frau für ihre Zeit: Allen Hindernissen zum Trotz verfolgte sie ihr Ziel, als Ärztin zu praktizieren. Sie engagierte sich politisch. Sie sprach sich vehement gegen das Tragen des Korsetts aus. Und für den möglichen Schwangerschaftsabbruch, den sie auch durchführte. Sie versuchte, die Gesundheitsversorgung vor allem von Arbeiterfamilien zu verbessern.
Die Rollen von Mann und Frau verstand sie als gleichberechtigt; in der Ehe sollten sie die Pflichten der Kindererziehung gleichermaßen übernehmen. Genau so, wie sie im Falle einer Scheidung beide das Recht haben sollten, die Kinder zu sehen. So praktizierte sie es auch selbst mit ihrem früheren Kommilitonen und späteren Ehemann Otto Walther, mit dem sie zwei Kinder hatte.
Heilung im Schwarzwald
1886, nach der Geburt des zweiten Kindes erkrankte Hope schwer an Tuberkulose. Damals häufig ein Todesurteil. Denn für diese Krankheit gab es bis in die 1940er-Jahre kein echtes Heilmittel, erst dann kamen Antibiotika zum Einsatz.
Gemeinsam mit ihrem Mann Otto erprobte Hope im Schwarzwald, wohin die Familie in jener Zeit gezogen war, einen damals neuartigen Heilungsansatz: sie setzten bei Hopes Tuberkulosebehandlung auf viel frische Luft und Bewegung; dabei sorgsame Schonung und gezielte Gewichtszunahme. Mit dieser Methode warfen sie die Vorstellungen der gängigen Liegekur über den Haufen, die beispielsweise in Davos praktiziert wurde. Hope konnte allmählich genesen und das Paar eröffnete in Nordrach ein Lungensanatorium, wohin bald auch viele TBC-Patienten kamen. Das Ärztepaar setzte bei der Kur aufs Wandern: sie legten Wanderwege an und verteilten Wanderkarten an ihre Patienten.
Praktizierend in München
In der Klinik arbeitet auch Carl Lehmann; ebenfalls Mediziner, ebenfalls für die Ideale einer sozial gerechteren Gesellschaft eintretend. Für ihn ließ sich Hope scheiden und heiratete erneut. Hope und Carl zogen nach München und eröffneten 1896 in der Gabelsbergerstraße ihre zusammen geführte Praxis. In der gemeinsamen Wohnung gingen regelmäßig sozialdemokratische Größen ein und aus, zum Freundes-, Bekannten- und Begleiterkreis gehörten Clara Zetkin und August Bebel, genauso wie Lenin.
Sozialdemokratie hier, Bergbegeisterung dort – gemeinsam mit Carl, der auch Gründungsmitglied der Sektion Oberland des Alpenverein war, spendete sie Geld, das dem Bau der Lamsenjochhütte im Karwendel diente. Hope ging auch selbst immer wieder in die Berge; mit Carl oder mit Freundinnen. Dazu trug sie einen Rock, den sie für das Wandern hochband, darunter eine Hose. Praktisch musste ihre Kleidung sein, auch beim Radfahren. – Hope trat vehement für das Radfahren von Frauen ein und ermutigte sie dabei zu gesellschaftlicher Sichtbarkeit. Über das Radfahren – sie selbst überquerte radelnd im Frühling 1901 die Alpen – sollten die Frauen mehr Selbstvertrauen erlangen und eine veränderte innere Haltung erfahren.
Ihre Vision eines Frauenheims, in dem frauengerechte Krankenhausgeburten stattfinden sollten, konnte Hope nicht umsetzen. Doch sie gründete einen biligualen Kindergarten. Sie schrieb einen viel gelesenen Gesundheitsratgeber für Frauen und betätigte sich publizistisch. Hope war bis zuletzt immer auch unangepasst. Sie führte entgegen geltendem Recht nach der Heirat ihren Mädchennamen weiter. Und ihr Wunsch war es, dass nach ihrem selbstgewählten Tod 1916 ihre Asche in der Isar verstreut würde. Erlaubt war das damals wie heute nicht. Doch die Urne wurde nie beigesetzt und verschwand wohl in den 1940er Jahren. Über den Rest lässt sich nur spekulieren.
Späte Spurensuche
Fast hätten sich die Spuren des außergewöhnlichen Lebens von Hope Bridges Adams Lehmann in Archiven und auf Dachböden verloren. Doch die Historikerin Marita Krauss hat in einer jahrelangen, weltumspannenden, akribischen und fast kriminalistischen Suche die Lebensstationen von Hope recherchiert und sortiert, interpretiert und 2002 erstmals in Buchform öffentlich gemacht.
Auch erinnert seit den frühen 2000er Jahren in Schwabing-West die Adams-Lehmann-Straße an die zupackende Frau, die zeitlebens wohl immer auch schüchtern und wenig bereit war, sich selbst in den Vordergrund zu spielen.
Wer sich detaillierter mit Hopes Leben beschäftigen möchte, dem empfehle ich das Buch von Marita Krauss: „Hope. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann – Ärztin und Visionärin. Die Biografie“, auf das sich sämtliche in diesem Artikel verwendeten Informationen beziehen. Quasi nebenbei erfährt man in dem Buch viel über die Geschichte der Medizin, der Frauenbewegung und der Sozialdemokratie; bis hin zur Erschließung der Alpen.
Mit dem Beitrag nehme ich an der aktuellen, bis zum 9. Dezember 2020 laufenden Blogparade der Monacensia teil. – Das literarische Archiv Münchens lenkt unter dem Hashtag #femaleheritage die Aufmerksamkeit auf außergewöhnliche Frauen und will diese in die Kulturgeschichte „zurückschreiben“.
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