Ausgewählte Reise-(Lese-)Bücher
Inzwischen finde ich es nicht mehr ganz so selbstverständlich zu lesen. Wobei, das stimmt so nicht ganz: Im Grunde lese ich, wie wahrscheinlich viele, stets und ständig. Für die Arbeit bin ich immer irgendwie auf der Suche nach irgendeiner Information, scrolle durch Websites, blättere durch Magazine, lese Bücher quer oder vertiefe mich in den einen oder anderen Sachtext. Was ich aber meine, ist das gemütliche Lesen für ein, zwei Stündchen an einem verregneten Sonntagnachmittag oder auch das „Ver-Lesen“ ganzer Urlaubstage bei einer großen Kanne Tee. Dann ist da noch das Lesen im Bus oder Zug, während es zur Arbeit oder zu einem Reiseziel geht. Dass selbst letzteres Lesen weniger geworden ist, liegt daran, dass sich zum einen die täglichen Wege verändert haben oder sie sind gleich ganz weggefallen. Zum anderen lenkt das Smartphone immer wieder ab, ob das nun ist, um über die verschiedenen Kanäle mit Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben oder um die Online-Ausgabe der Tageszeitung zu lesen.
Umso mehr wertschätze ich die Zeit, die ich dann doch ganz bewusst mit einem guten Buch verbringe. Vorzugsweise mit einem Print-Exemplar, denn allein die Haptik des ausgewählten Papiers ist eine ganz eigene Sinneserfahrung. Ebenso lasse ich mich immer wieder von besonderen Covern oder auch Vorsatzblättern entzücken, aus denen man die Begeisterung und Liebe fürs Detail spürt, die während der Konzeption in das jeweilige Buch eingeflossen sind. Und dann ist ein gedrucktes Exemplar so wunderbar geeignet fürs Anstreichen und Unterstreichen oder um Notizen zu machen . – All das für mich immer wieder auch ein Grund, die Bücher zu kaufen, selbst wenn ich vorher vielleicht zunächst ein Bibliotheksexemplar gelesen habe.
Jedenfalls: In den zurückliegenden, sagen wir mal: achtzehn Monaten haben mich neben vielen anderen einige Bücher begleitet, die sich im weitesten Sinne um das Thema „Reisen“ drehen, allesamt von Frauen geschrieben, und die mich auf ihre jeweils eigene Art ganz besonders ansprachen:
Mein Helgoland
Dieses Cover strahlte mich in der Münchner Stadtbibliothek an. Kurz reingelesen, mitgenommen und daheim einigermaßen verschlungen. Das Buch ist Teil einer Reihe des Mare-Verlags, in der Autorinnen und Autoren von einer Insel, manchmal auch einer Küstenregion, erzählen, zu der sie eine besondere Beziehung pflegen. In diesem Fall also: die Insel in der Deutschen Bucht, bei deren Namen man im Zweifel noch immer an die einstigen Butterfahrten denkt. Isabel Bogdan gibt in dem Büchlein einen Einblick in die kleine wie facettenreiche Insel und in ihren eigenen Schreibprozess als Autorin, verknüpft diese beiden sehr unterschiedlichen Themen dabei gekonnt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Gefühl zu dem Buch: Auch wenn sich an der Insel die Geister scheiden, liest sich der Text sehr wohlwollend und zugewandt. Zum Beispiel kann man die 50er-Jahre-Architektur auf Helgoland mögen oder nicht. Doch es gibt einen Grund, dass die Insel so bebaut ist, wie sie sie eben bebaut ist. Und diesem und vielen anderen, vielschichtigen Hintergründen ist Platz gegeben.
Isabel Bogdan: MeinHelgoland; 160 Seiten, Mare Verlag (2021), 20 Euro
Meine Normandie
Nachdem ich mich mit zwei, drei anderen Büchern der Reihe zwischenzeitlich eher schwertat oder sie ziemlich entnervt bald ganz beiseite legte, wieder ein Band, der mich ansprach: Sabine Grimkowski nimmt mit auf eine vor allem literarische Reise durch die Normandie. Bunte Bilder der nordfranzösischen Küstenlandschaft bauen sich beim Lesen schnell zusammen. Es sind sehr persönliche Eindrücke der Normandie, trotzdem bleibt das „Ich“ meist angenehm im Hintergrund. Man lernt außergewöhnliche Charaktere kennen, begibt sich auf die Spuren großer Namen, bleibt mit der Autorin in Trouville und geht auf Ausflüge in das Hinterland. Immer wieder gibt es wunderbare Textpassagen, die man sich anstreichen möchte, wie eine zur Klosterinsel Saint Michel, ganz im Westen der Normandie. Eine wunderbare Lektüre und Reisevorbereitung.
Sabine Grimkowski: Meine Normandie; 160 Seiten, Mare Verlag (2022), 20 Euro
Glücksorte in Barcelona
Eines vornweg: Nicole Biarnés ist eine echte Barcelona-Kennerin, sie lebt seit inzwischen mehr als 20 Jahren in Katalonien und ist regelmäßig in der Mittelmeermetropole unterwegs. „80 einzigartige Highlights“ verspricht das Buch. In Zeiten von Overtourism und Kurztrips kann man solch ein Versprechen ja mitunter eher als Drohung verstehen. Doch weit gefehlt: natürlich fallen im Buch auch bekannte Namen wie Park Güell, Tibidabo oder Plaça d’Espanya. Darüber hinaus aber ist der Blick immer wieder auf Details gelenkt – wie Gaudís Laternen mit Helm, die man ansonsten höchstwahrscheinlich übersehen würde. Vor allem aber ist das Buch ein toller Begleiter, um die Stadt abseits der Touristenströme und im ganz eigenen Tempo zu erkunden. Ganz gleich, ob man das erste, zweite oder schon das zwanzigste Mal Zeit in Barcelona verbringt, oder ob man gleich ganz dort lebt.
Nicole Biarnés: Glücksorte in Barcelona; 168 Seiten, Droste Verlag (2020), 14,99 Euro
Secret Citys Spanien
Apropos abseits von Touristenströmen unterwegs zu sein: zu diesem Vorhaben laden Nicole Biarnés und Grit Schwarzenburg ein. Barcelona oder Madrid sind dabei selbstredend ausgelassen. Stattdessen führt das Buch in Orte, die in der Immobilienwelt zumeist als B-, C- oder gar D-Destinationen beschrieben würden, weil sie – zumindest für Investoren – erst einmal weniger interessant sind. Somit Städte, von denen man – anders herum gedacht – annehmen darf, dass die Verwerfungen aus Globalisierung und Gentrifizierung noch nicht allzu stark ausgeprägt sind. Es geht also in „charmante Städte abseits des Trubels“, wie es auf dem Cover heißt. Das Durchs-Buch-Blättern ist schon einmal Arm Chair-Travelling at it’s best, denn die Texte und Bilder erzählen spannende Geschichten aus ganz Festlandspanien; sei es im Norden aus der asturischen Hauptstadt Oviedo oder im Südwesten aus Mérida in der Extremadura. Schöner ist nur noch das Dorthin-Reisen selbst, idealerweise mit der Extraportion Zeit, um sich immer wieder einfach nur treiben zu lassen.
Nicole Biarnés und Grit Schwarzenburg: Secret Citys Spanien; 192 Seiten, Bruckmann Verlag (2022), 29,99 Euro
Bücherorte
Was für ein Schatz, dieses Buch! Begeistert man sich auf Reisen und daheim ansatzweise für das Herumstreifen durch Buchhandlungen und über Bücher-Flohmärkte, oder bereitet es einem Freude, auf den Spuren von Büchern und ihrer Charaktere unterwegs zu sein, alternativ auch auf denen der jeweiligen Autoren und Autorinnen, dann ist dieses Buch ein unbedingtes Muss im eigenen Bücherregal. Denn mit viel Gespür für das Besondere hat Susanne Lipps gewissermaßen das europäische Who is who der Buchwelt in ihren Texten zusammengetragen. Ob das nun Geschichten aus Unesco-Literaturstädten sind, Städten also, die Bücher und das Lesen an sich in besonderem Maße fördern. Oder Reisen in Städte, die dank ganz besonderer Bibliotheken oder Buchhandlungen unweigerlich als Bücherort durchgehen dürfen. Und dann sind da noch Orte, an denen sich Literaten und Schriftstellerinnen inspirieren ließen. – Zusammen eine fabelhafte Bücherreise durch Europa, vom irischen Dublin bis ins slowenische Ljubljana, vom polnischen Breslau bis ins portugiesische Óbidos. Wunderbare kleine Lesehäppchen, umgeben von viel Atmosphäre, die die gelungenen Fotos ausstrahlen. Das Beste vielleicht: bei allem Umfang lässt sich selber natürlich immer noch mehr entdecken bei einem eigenen Streifzug durch den jeweiligen Bücherort.
Susanne Lips: Bücherorte: Europas schönste Ziele für alle, die das Lesen lieben; 312 Seiten, Kunth Verlag (2023), 29,95 Euro
Rad, Land, Fluss
Vom ersten Moment an ein Durchblätter-, Schau- und Lesegenuss: Das Buch ist wunderschön aufgemacht mit vielen liebevoll auf die Fotografien und den Text abgestimmte Details. Im Buch nimmt Alexandra Schlüter auf eine Reise stromaufwärts entlang der Elbe, von der Mündung bei Cuxhaven bis ins Elbsandsteingebirge. Anfangs, wie das beim Reisen oft so ist, bis eine gewisse Routine da ist, wirkt es fast ein wenig unruhig; bereits hinter Hamburg aber, so das Lesegefühl, hat sich der Flow eingestellt. Die Elbe ist der rote, soll heißen: blaue Faden durch das Buch, die Protagonistin, die die vielfältigen Geschichten, Beobachtungen und Begebenheiten zusammenhält. Es ist eine Sehnsuchtsreise und gleichzeitig eine deutsch-deutsche Reise, immer mit der Frage im Notizbuch und im Kopf, was genau die Menschen entlang der Elbe mit dem Fluss verbinden. Eine leise Erzählung, die einem viel über „das Elb-Gefühl“ vermittelt.
Alexandra Schlüter: Rad, Land, Fluss: Wie ich die Elbe entlangfuhr und meine Heimat neu entdeckte; 240 Seiten, Prestel Verlag (2022), 26,00 Euro
Zu Hause in Prag, manchmal auch anderswo
Ein Buch, das in dieser Sammlung aus der Reihe fällt: Lenka Reinerová gilt als die Grande Dame der deutschsprachigen tschechischen Literatur. 1916 wurde sie in Prag geboren, 2008 starb sie hier. Als die deutsche Wehrmacht Prag 1939 besetzte, war sie zufällig in Rumänien. Für die Jüdin gab es kein Zurück mehr. Sie floh nach Paris, später nach Mexiko. Ein Schicksal wie das Tausender anderer Prager Jüdinnen und Juden blieb ihr, wie sie schrieb, »wundersamerweise erspart«. Ihr Los waren Jahre des Exils, aus denen sie 1948 nach Prag zurückkehrte. Unter sozialistischen Vorzeichen folgten wechselhafte Jahre, die in einem Schreibverbot endeten. Nach dem politischen Umbruch 1989 veröffentlichte sie Erinnerungsbücher und Erzählungen, die von jenem Prag berichten, in dem auch so viele andere deutschsprachige Autoren zu Hause waren, darunter Rainer Maria Rilke und Franz Kafka, Max Brod und Egon Kisch. Mit „Zuhause in Prag. Manchmal auch anderswo“ nimmt eine außergewöhnliche Frau auf eine außergewöhnliche, erzwungene Reise mit.
Lenka Reinerová: Zu Hause in Prag, manchmal auch anderswo; 189 Seiten, Aufbau Taschenbuch Verlag (2000), nur noch antiquarisch oder als E-Book erhältlich.
Transparenzhinweis: Die Bücher „Glücksorte in Barcelona“, „Secret Citys Spanien“ sowie „Bücherorte“ haben die jeweiligen Verlage als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.