Oder: Von Ende und Anfang
Kurz das Smartphone in die Hand nehmen, ein wenig in der Zeitung lesen. Mehrfach jeden Tag mache ich das. Und doch war am 11. Juni 2023 alles anders. Am frühen Abend jenes Sommersonntags, den ich daheim vertrödelnd genossen habe, saß ich ungläubig vor dem kleinen Bildschirm. Die Schlagzeile: „Kirche im Olympiapark in München niedergebrannt“. Die Rede war von der Ost-West-Friedenskirche.
In jener Nacht hatte die Flammen erbarmungslos gezüngelt. Sie hatten ein leichtes Spiel: Die Kapelle, die auch Kirche von Väterchen Tifomej bekannt war, bestand aus einfachsten Materialien.
1952 war der russische Eremit Timofej Wassiljewitsch Prochorow gemeinsam mit seiner späteren Frau Natascha in den Nachkriegswirren nach München gelangt und hatte sich am Oberwiesenfeld niedergelassen. Zu dieser Zeit war das Areal einer der drei großen Schuttablageplätze in München, wohin die Trümmer der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebäude der Stadt geschafft wurden. Am Rande des Schuttbergs auf dem Oberwiesenfeld begann Timofej in den nächsten Jahren, ein Häuschen und ein Kirchlein zu bauen, dessen Decke er mit Stanniol-Papier auskleidete und dessen Wände er übervoll mit Ikonen schmückte.
Fast hätten der Schwarzbau den Olympischen Spielen weichen müssen. Doch es kam anders und die Ost-West-Friedenskirche wurde eine Gedenkstätte, Symbol für Frieden und Versöhnung. Letztlich geduldet von der Stadt, ist das kleine, durch Bäume und Hecken geschützte Fleckchen Erde, auf dem Väterchen Timofej bis zu seinem Tod 2004 lebte, ein ganz besonderer Ort in der Stadt.
Immer wieder mal kam ich hier über all die Jahre mit Besuch vorbei. Im Sommer und im Winter, im Frühling und im Herbst. Im Corona-Januar 2021, in dem wir wieder im Lockdown steckten und Kontakte auf ein Minimum beschränkt waren, genoss ich hier mit einer lieben Freundin an ihrem Geburtstag die Sonne des klirrenden Wintertages, selbst gebackene Plätzchen und heißen Tee aus der Thermoskanne.
Doch auch allein ist mein Ziel oft klar: Denn brauche ich mitten in der Stadt eine spontane Auszeit, dann schlendere ich in den Olympiapark. Und noch mehr – auf eine eigentümliche, ganz andere Art als in anderen Ecken in dem so wunderbar für die Sommerolympiade 1972 modellierten Gelände und heutigen Naherholungsgebiet ist es mir auf dem kleinen maschendraht-umzäunten Areal möglich, innerhalb kürzester Zeit einen kleinen mentalen Reset vorzunehmen.
Wohl gerade deshalb dauerte es Wochen und Monate, bis ich mich überhaupt überwinden konnte, nach dem Brand wieder durch die kleine Gartenpforte und den schmalen Kiesweg hinunter zu gehen. Hin zu dem verkohlten Rest der Ost-West-Friedenskirche.
Und dann war ich überrascht. Ja, es schmerzte, die Überreste des Kirchleins zu sehen. Gleichzeitig spürte ich, dass sich gar nicht so viel geändert hat an dem, wie der Ort auf mich wirkt: Er hatte nichts von seinem Zauber, von seiner entspannenden Wirkung verloren.
Gut möglich, dass das auch daran liegt, dass hier, mitten in München, so ein wenig gezähmter, stiller Ort, „einfach“ existieren darf. Ein Ort, durch den keine Laubbläser kreischen und der auch nicht Autolärm-umtost ist. Ein Ort, der nicht überrannt wird durch Menschen von nah und fern, an dem sich aber gute Gespräche führen lassen. Ein Ort, an dem niemand konsumieren muss. Ein Ort, an dem man einfach nur sein darf. Wir brauchen viel mehr davon in der Stadt.
PS: Inzwischen scheint der Weg einigermaßen frei, um die Ost-West-Friedenskirche wieder aufzubauen.