Ski-Wandern auf dem Rennsteig
Jedes Mal, wenn ich in unseren Keller ging, schienen mich meine Backcountry-Ski anzuflehen: Nutz uns endlich wieder mal! So wunderbar war der gemeinsame, nicht enden wollende Norwegen-Winter. Und jetzt? Liegen wir nur noch hier im Warmen, aber Dunkeln!
Wohin aber in Mitteleuropa mit diesen schmalen Leisten, deren Namen die wenigsten hierzulande jemals gehört haben? Backcountry-Ski. So breit, dass sie gerade noch in eine Langlaufloipe passen. Jedoch mit Stahlkanten. Und mit einem stabilen Schuh, der perfekt als Wanderstiefel wegginge. Derart ausgerüstet, lässt sich der Winter wunderbar genießen im hügeligen Auf und Ab Skandinavien. Am besten natürlich abseits der Loipe. Beispielsweise auf der Hardangervidda, in Trøndelag, oder auch in Rondane. Aber hier? In Deutschland?
Neben dem Schwarzwald oder Bayrischen Wald schien mir der Thüringer Wald als das ideale Gebiet, um die gestählten Kufen mal wieder surren zu lassen. Und wo im Thüringer Wald sollte ich das besser können als auf dem legendären Rennsteig! „Gut Runst“ also, was soviel heißt wie „Guten Lauf“.
Zugegeben: Der Bär steppt woanders. In den wenigsten der Schieferhäuser, an denen wir auf dem Über-Land-Weg am Vorabend zu unserem Ausgangspunkt Oberhof vorbeifahren, brennt Licht. Die Abwanderung der letzten 20 Jahre hat ihre Spuren hinterlassen. Die Menschen wohnen dort, wo sie Arbeit finden.
Auf der Loipe ist genauso wenig los. Aber wen wundert das schon: Es liegt zwar reichlich Winterweiß auf unseren rund 35 Ski-Kilometern von Oberhof nach Masserberg. Doch die Sicht ist bescheiden. Schwer und nass fällt der Schnee von oben herab.
Das Verlaufen, das hatte ich bereits während meiner Sommerwanderung auf dem Rennsteig gelernt, ist auf weiten Strecken nahezu ausgeschlossen. Immer wieder treffen wir auf ein großes „R“, das den Weg weist. Mal ist der Weg Loipen-perfekt gespurt. Mal folgt man einer vereinzelten, alten Spur, die jemand schon vor Tagen mitten zwischen die Bäume hindurch gezogen hat.
Auf wenn sich die Sprachwissenschaftler einig sind und der Name Rennsteig von „sich schnell bewegen“ herrührt. – In Eile sind auf diesem Kammweg zwischen Thüringen und Bayern heutzutage die wenigsten. Wer nach ein paar Stunden in der Kälte wieder eine Aufwärm-Möglichkeit braucht, findet auch davon genug entlang des Weges: Ob hier im Café des Rennsteigbahnhof oder dort im Waldhotel.
Zwischendurch gibt es immer wieder auch einfache Schutzhütten, in denen wir uns unseren heißen Tee aus der Thermoskanne schmecken lassen. Die Schutzhütten sind wenige Quadratmeter groß, auf drei Seiten geschlossen, zu einer Seite – mindestens durch große Sichtluken oder komplett – geöffnet. Theoretisch ließe sich in diesen Unterständen sogar übernachten. Aber das überlassen wir anderen.
Mit all dem Nebel herrscht vielerorts auf unserem zweitägigen Weg eine mystisch-düstere Stimmung. Spätestens, als der Weg nach Mordfleck angezeigt wird, kommen wir ins Grübeln ob unseres einsamen Winterwanderns im geheimnisvollen Grau. Gut vorzustellen, dass vor zwei-, dreihundert Jahren niemand hier oben, mitten im Wald, herumstapfen wollte.
Heute natürlich ist das alles anders. An schöneren Tagen kommen vor allem Tagesausflügler auf die Loipen. Und auch ich habe mir fest vorgenommen, irgendwann noch mal die Gelegenheit zu nutzen, zum winterlichen Rennsteig zurückzukehren. In einem schneereichen Jahr gerne, um einen etwas längeren Abschnitt als dieses Mal unter die Ski zu nehmen. Und: Unbedingt bei besserer Sicht.
Karte: Bei der Suche nach ordentlichem Kartenmaterial bin ich auf eine 50.000er-Variante vom thüringischen Landesvermessungsamt gekommen. Sie heißt schlicht: „Rennsteig. Hörschel-Blankenstein“. Besonders schön: Es handelt sich um fünf separate, kleine Blätter. Umständliches Auseinanderfalten einer großen Karte lässt sich so vermeiden, auf der Rückseite sind alle wichtigen Wegpunkte kurz beschrieben. Eine praktische Ergänzung ist der Rennsteig-Wanderführer von Horst Golchert. Der Autor kennt den Rennsteig wie seine Westentasche und weiß in seinem Büchlein viele Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Und es wird klar: Nicht das Sportliche, sondern das Historische ist das eigentlich Prägende des Rennsteigs.
Gut zu wissen: Der Rennsteig ist rund 170 km lang. Für eine Ski-Wanderung bietet sich am ehesten der zentrale und am höchsten gelegene Teil zwischen Oberhof und Neuhaus an, der sich in drei überschaubaren Wintertagesetappen ablaufen lässt. Auf diesem Abschnitt gibt es auch genügend Unterkünfte und Einkehrmöglichkeiten. Ausreichend Zeit für Begegnungen und Entdeckungen am Wegesrand einplanen.
Erstmals ab Dezember 2013 wird der Rennsteig auf einer Länge von 140 km gespurt und als „längster Fernskiwanderweg Mitteleuropas“ beworben. Informationen zu den jeweils aktuell präparierten Abschnitten bietet der Regionalverbund Thüringer Wald.