Zu Leonhardi in Bad Tölz
Wenn das Wetter einigermaßen gut ist, möchte ich mir Leonhardi in Tölz anschauen, hatte ich schon Wochen vorher beschlossen und den Termin in den Kalender geschrieben. – Das Wetter wurde grandios. Und ich unternahm eine kleine (Zeit-)Reise in ein eigentümlich-prächtiges Oberbayern.
Leonhardi …
… darum geht’s: Leonhardi ist eine in Altbayern und in Westösterreich bekannte Prozession zu Ehren des Heiligen Leonhard. Der ist der Schutzpatron der Bauern und ihrer Tiere – vor allem der Pferde. Am 6. November findet dem Schutzpatron zu Ehren in vielen Orten die Leonhardifahrt oder der Leonhardiritt, kurz einfach: Leonhardi, statt.
In Tölz nehmen um die 80 Wägen teil: Festlich geschirrte Vierergespanne ziehen dabei wunderschöne handbemalte Truhenwagen, in denen – feierlich herausgeputzt – Kinder, Frauen und Männer sitzen. Vornweg, in den ersten Wägen, die Stadtoberen und Geistlichen.
Die Wägen kommen in Tölz über die Isarbrücke in die Marktstraße gefahren; von dort geht es hinauf auf den Kalvarienberg, wo die Pferde gesegnet werden. Danach geht’s wieder zurück in die Ortsmitte, die Marktstraße. Wie schon am gesamten Vormittag läuten ununterbrochen die Kirchturmglocken der ganzen Stadt. Auf den letzten Metern der Prozession wird’s dann endgültig ohrenbetäubend laut, denn viele der Pferde stürmen im Trab oder Galopp die Marktstraße nach Osten hinauf – Pferdehufe und Wagenräder eisenbeschlagen und an den Geschirren unzählige Glöckchen.
… darum geht’s auch: Leonhardi in Tölz ist der bekannteste dieser Umzüge, zu dem jedes Jahr bis zu 25.000 Besucher kommen. Während „vorne“ am Kalviarienberg die Pferde gesegnet werden, geht man „hinten“ schon zum Gemeinschaft-stiftenden Teil über: Jeder der Wägen wird von Angehörigen und Freunden umringt, die Kinder auf den Wägen bekommen einen warmen Tee und ein Brot. Auch sonst werden Keksdosen hinaus-, Stamperl hineingereicht. Oder war’s andersrum?
Jedenfalls wird im Anschluss an die Prozession, wenn der Großteil der auswärtigen Gäste schon wieder in den Reisebussen, Autos oder Ferienwohnungen sitzt, im Ort gefeiert. Mitunter ordentlich. Sicher nicht umsonst heißt laut Tölzer Leonhardi-Zeitung das sechste Leonhardi-Gebot: „Lehardi is a Wallfahrt und koa Gelage! Wia vui dass d’vertrogst, muaßt selba wissen. Hoam findn solltadst aber schon no aloa.“
Tatsächlich fühlte sich Leonhardi für mich wie eine kleine Zeitreise an. Die ganze Szenerie ist ein Stück weit Historienfilm-reif. Prachtvoll. Akkurat sitzt jede Strähne und Mähne. Alles folgt festen, überlieferten Bräuchen und Regeln, wie sie nur noch in wenigen Regionen gelebt werden. Und es ist zu spüren, dass solche Feste (allein die Vorbereitung!) schon immer den lokalen Zusammenhalt gefördert haben. Ich bleibe noch eine Weile staunender Zaungast. Und finde mich später wieder Isar-abwärts im mitunter unverbindlichen Gewusel der Großstadt ein.
Gut zu wissen:
Leonhardi ist am 6. November. In Tölz wird es immer an diesem Tag gefeiert. Es sei denn, der 6. fällt auf einen Sonntag – dann findet der Umzug am Samstag oder, wie 2016, am Montag statt.
Während Leonhardi in Tölz vor allem wegen seiner Authentizität hervorgehoben wird, ist Kreuth am Tegernsee für den ältesten Leonhardiritt bekannt.
Für einen kleinen Blick hinter die Tölzer Kulissen ist die Leonhardi-Zeitung zu empfehlen. Sie wird während der Prozession auf der Straße verkauft. Darin viele Bilder vom Vorjahr und Wissenswertes rund um Leonhardi, zum Beispiel die Frisuren und den Schmuck.
Viele Läden und Behörden sind an Leonhardi in Tölz geschlossen. Die Kinder haben schulfrei – und holen diesen Tag später wieder nach.
Die Stadt hat 2015 bei der Unesco die Anfrage zur Aufnahme der Tölzer Leonhardifahrt in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes gestellt. Derzeit sind in diesem Verzeichnis bundesweit 27 Einträge aufgenommen, darunter auch die Passionsspiele Oberammergau.