Im Nürnberger Reichswald
Nur allzu gern schaue ich auf Landkarten. Manchmal glaube ich, erst der Blick auf die Landkarte macht mich auf Ausflügen und Reisen einigermaßen vollumfänglich handlungsfähig.
Allein die Himmelsrichtungen ließen sich natürlich vor Ort auch mit Hilfe von Schattenwurf oder Bemoosung feststellen. Aber es geht um mehr: es geht um das große Ganze, um den Überblick. Um Verbindungswege oder Pfade, um Bachläufe und Berghänge. Um Machbares und besser zu Unterlassendes. Und dann ist da noch der inspirierende Moment beim Blick auf die Karte: Plötzlich entdecke ich ein Detail, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Dünen
Wie zum Beispiel eine seltsam sandfarbene Fläche in Form eines Bumerangs, mitten in viel Waldgrün. Nordwestlich von Altdorf, am Rande des Nürnberger Reichswaldes, zeigte mir die Karte dieses Gebilde an. Und bald darauf den Hinweis auf den Fränkischen Dünenweg. – Dünen! Dünen in Bayern?
Nun ist Altdorf nicht etwa, wie es der Name vermuten lässt, nur eine Kirche und ein paar Häuser. Sondern Altdorf kommt als Kleinstadt mit restauriertem Markt daher und einem überhaupt recht herausgeputzten Ortskern, in dem sich ganz besonders viele Sandstein- und Fachwerkgiebel in den Himmel räkeln.
Vom Städtchen, beziehungsweise von seinem Bahnhof, lässt sich erst einmal ohne großes Nachdenken der Weg Richtung Düne einschlagen – wir folgen dazu der ausgeschilderten Wandermarkierung für den Fränkischen Dünenweg, sind hinter Röthenbach bald im Wald, schlüpfen unter dem Rauschen einer Autobahn hindurch und verschwinden wieder im Heide- und Kieferngrün. Seltsamerweise führt der Dünenweg dann schnurstracks und großräumig an der gesuchten Düne vorbei. Grund genug auszuscheren aus dem Wanderweg, der sich über 85 Kilometer durchs Nürnberger Land schlängelt, und eigene Wege zu gehen.
Es ist ein Frühsommervormittag und die Düne gibt sich bereits aufgeheizt. Zwar lockt der feine Sand, die Schuhe auszuziehen und Zehen hineinzubohren. Doch gleichzeitig ist klar, dass das keine besonders clevere Idee wäre. Mit langsamen, schweren Schritten – so ein Gang durch trockenen Sand gleicht ja eher einem Kampf denn einem Spaziergang – folgen wir dem breiten sandgelben Streifen, den zur Linken Bäume säumen und der zur Rechten sanft einige Meter abfällt.
Mittelfranken, so erklärt es ein Schild, ist zu weiten Teilen auf Sandstein gebaut. Während der letzten Eiszeit waren große Flächen frei von Vegetation. Der Wind blies feines Gesteinsmaterial aus und ließ es an anderer Stelle als Flugsand wieder fallen. Und eben hier hat der Mensch später diesen Sand in riesigen Gruben abgebaut. Weil der Wald aber auch für die Trinkwasserversorgung wichtig ist, ließ man nochmal später den Abbau bleiben, heute sind die ehemaligen Abbauflächen ein Naturschutzgebiet.
Zeidler
Durch den trockenen Kiefernwald stapfen wir zu einer weiteren Sanddüne, wo wir die Richtung ändern und uns über Forstwege querwaldein nach Ungelstetten treiben lassen. Der Ort ist eine ehemalige Zeidlersiedlung, hier fanden im Mittelalter Honigsammler ihr Auskommen, indem sie den Honig von wilden und halbwilden Bienenvölkern ernteten.
Anders als die Imker nutzten die Zeidler künstlich in Bäumen angelegte Hohlräume: sie hauten ein Loch in den Baum und setzten ein Brett davor, in dem sie ein Flugloch frei ließen. Und mit etwas Glück zogen die Bienen ein.
Der Honig war in Nürnberg sehr beliebt: als freie Reichsstadt genoss sie viele Privilegien, der Handel blühte. Vor allem lag Nürnberg im Zentrum der europäischen Gewürzhandelsstraßen. Wegzölle bezahlten die Händler oft mit Naturalien. Und so waren Kardamom, Zimt, Koriander und Anis reichlich verfügbar und wurden in Pfefferkuchen und Lebkuchen verbacken; zum Süßen kam der Honig ins Spiel, denn etwas anderes gab es damals nicht.
Nürnberger Reichswald
Der große Reichswald rund um Nürnberg war ideal für die Zeidlerei. Die sandigen Böden des Mischwaldes ließen die Heide gedeihen, die wiederum eine ideale Weide für die Bienen war. Der Honig und darüber hinaus auch das Bienenwachs waren so begehrt und kostbar, dass den Zeidlern zahlreiche Privilegen zugestanden wurden. So durften sie als einzige mit der Armbrust bewaffnet ihrer Arbeit im Wald nachgehen und sie hatten eine eigene Gerichtsbarkeit. Wie gut ihr Auskommen war, ließ sich auch an den Häusern ablesen, die sie oft nicht im kostengünstigen Fachwerkstil bauen ließen, sondern mit teurem, massiven Sandstein.
Nachdem wir am Dorfrand von Ungelstetten das Siedlungs-Kunterbunt durchschritten haben, grüßen uns im Dorfkern eben solche Sandsteinhäuser. Eines von ihnen, das Café „Zur alten Scheune“, lockt uns mit seinem Garten – und einer Kuchentheke, für deren riesige Auswahl wir glatt vergessen, dass eigentlich erst einmal die Uhrzeit für etwas Herzhaftes wäre.
In Ungelstetten treffen wir auch wieder auf den Fränkischen Dünenweg und folgen ihm kurzerhand nach Feucht. Das Städtchen war das Epizentrum der Zeidlerei, es gab einen Zeidelmeister und auch das eigene Zeidlergericht. Nicht zuletzt der Zeidlerschütze im Wappen zeigt, wie wichtig die Honiggewinnung für die wirtschaftliche Entwicklung von Feucht einst war.
Für uns schließt sich der Kreis und vom Sand zur Biene lässt sich der Tag auf eine ganz eigene Formel bringen: Wohlstand durch Mangel, wenn man so will. Denn weil die Gegend so sandig und karg war, holzte man den Wald nicht ab um Felder anzulegen. Und nur, weil der Wald da war, konnte die Zeidlerei und damit Feucht so prosperieren.
Mella fluant tibi. – Möge der Honig fließen!
Tipps
Hin & weg: Von Nürnberg geht’s mit der S-Bahn (S2) nach Altdorf. Feucht liegt an der gleichen Strecke, so dass, wer stattdessen von außerhalb kommt und sein Auto in Altdorf gelassen hat, auch wieder gut und regelmäßig dorthin zurückkommt. Bei der beschriebenen Wanderung kommen etwa 20 km zusammen.
Altdorf: Wer die ehemalige Universitätsstadt nicht kennt – hinfahren und sich von der Altstadt beeindrucken lassen! Die Abendsonne lässt sich besonders gut genießen auf der Terrasse vom Restaurant Rotes Ross, das auch bei der regionalen Gastro-Initiative „Heimat aufm Teller“ mitmacht.
Zeidelmuseum Feucht: Ganz detailliert lässt sich das Zeidlerwesen im Feuchter Zeidelmuseum kennenlernen, wobei es sich sehr lohnt, eine Führung mit einem der Imker und ehrenamtlichen Museumsmachern zu vereinbaren. Die eingeschränkten Öffnungszeiten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich hierzulande wohl kaum umfangreicher in einem Museum über Bienen informieren kann.