Über den Umgang mit Landschaft
Ich möchte ins Tal“, hörte ich mich denken, als ich zur Mittagszeit vor dem Gasthaus in Kaltenbrunnen stand. Wir waren einige wenige Stunden gemütlich unterwegs gewesen, oberhalb von Schwarzenberg.
Am nächsten Tag, so unsere ursprüngliche Idee, würden wir eine „richtige“ Bergtour auf einen der Bregenzerwald-Gipfel machen wollen. Vielleicht auf die Kanis- oder Mittagsfluh, vielleicht auch auf die Winterstaude oder so. Und jetzt? – Wollte ich einfach nur wieder hinab! In die Orte. Suchte Tal-Einblicke statt Berg-Ausblicke.
Wenn Fotos flunkern. Oder nicht
Mal ehrlich: Oft ist es doch (nicht nur in den Alpen) so, dass man sich eine Landschaft, ein besiedeltes Tal anschaut und denkt: Schön ist anders. Aufdringliche Werbetafeln hier, fragwürdige Privat-Architektur dort. Ganz zu schweigen von rücksichtslos in die Landschaft gesetzten Gewerbe- und Infrastrukturflächen.
Das, was toll aussieht, steht all zu oft allein zwischen weniger Schönem. Wollen wir ein Foto machen, dann suchen wir uns den idealen Standpunkt, um ja bloß das Störende auszublenden. Um in unserer Erinnerung eine kleine Idylle festzuhalten, die doch nur ein minikleiner Ausschnitt der ganzen Wahrheit ist.
Hier im Bregenzerwald war das irgendwie anders. Hier war der Weitwinkelblick erlaubt. Das hatten wir schon einige Jahre zuvor gefühlt: Wir waren damals nur ein paar wenige Kilometer durch die Region gefahren. – Aus dem Allgäu von Balderschwang kommend „hinein“ Richtung Hittisau, rechts nach Krumbach abgebogen und wieder „hinaus“ nach Ofterschwang.
Alles Holz, oder was?
An den Häusern nahmen wir damals viel Holz wahr. Sehr viel Holz. Sehr viel neues Holz. Wir sahen klare Bauformen, die doch eine große Gemütlichkeit ausstrahlten.
Damals war es nur so ein Gefühl. Heute weiß ich: Ohne dass wir sie suchten, hatten wir die Neue Vorarlberger Bauschule gefunden. Eine Architekturrichtung, die seit Ende des 20. Jahrhunderts für eine neue alpenländische Bauweise steht. Dabei geht es um schlichtes, gemeinschaftliches, ressourcenschonendes und eben auch schönes Bauen.
Das Resultat kann ich in jedem der Bregenzerwald-Dörfer bestaunen: Für die neuen Häuser hat man die traditionelle Architektur aufgegriffen und in modernem Kontext fortgeschrieben. Und so steht dann, ganz harmonisch, Alt neben Neu. Neben Alt. Neben Neu. Selbst an und für sich „schnöde“ Industriegebäude wie ein Sägewerk oder eine Druckerei sind hier hübsch anzusehen. Und Holz, überall Holz an den Fassaden. Frisch und honiggelb strahlend. Wettergegerbt und dunkel verwittert.
Ob bei Spaziergängen in Andelsbuch, Bizau oder Schwarzenberg – ich kann mich einfach nicht satt sehen an den Häusern. Besonders hat es mir der „Schopf“ angetan – eine Art Veranda. Diese ist mal geschlossener, mal offener. Mal an zwei Seiten mit Holz verkleidet, mal mit viel Glas. Eine Art Allzweckraum zwischen drinnen und draußen. Zum Abstellen und zum Sitzen.
… ja, gerne zum Sitzen. Und zum Schauen – in die Landschaft. Hach, hier wohnen, hier genießen …!
Tipps
#1: „Kulinarische Wanderungen“ sind ein hübsches Angebot (mit Gästecard ab 38 Euro), auf verschiedenen Routen ganz entspannt den Bregenzerwald kennenzulernen: Im Preis enthalten sind Frühstück, Mittag und eine süße Speise – jeweils bei einem anderen Gastgeber. Dazwischen wird gewandert bzw. in der Höhe spaziert. Gut zu wissen: Wem’s Essen an einem Tag zu viel ist, der kann die Einkehr auch von vornherein auf mehrere Tage verteilen. Das, so erfuhren wir, machen viele Einheimische, bei denen die kulinarischen Wanderungen ebenfalls sehr beliebt sind, auch so.
#2: „Umgang Bregenzerwald“ heißen zwölf Dorfrundgänge, bei dem ortstypische Gestaltungsweisen – natürlich überall mit viel Holz – zu erkunden sind. Jeder Umgang dauert 90 Minuten bis vier Stunden. An jedem der Wege findest du Infosäulen aus Cortenstahl: An der Seite einen Knopf drücken, oben rein schauen und in ein, zwei Sätzen Interessantes erklärt bekommen. Diese Infos gibt’s auch in einem kleinen Schuber mit zwölf Foldern. Unbedingt lesenswert: Das 182-seitige, in Filz gebundene Begleitbuch mit Innen- und Außenansichten von Autoren, die der Region verbunden sind. Schuber & Buch sind für 29 Euro bei den Tourismusbüros und im Werkraum Bregenzerwald erhältlich.
#3: Werkraum Bregenzerwald – Handwerk aus dem Bregenzerwald unter einem Dach. Denn in wohl proportionierten Häusern hat sich’s noch lange nicht erschöpft: Wer sehen will, welch funktionelle und schöne (Alltags-)Produkte in der Region gefertigt werden, sollte einen Besuch in Andelsbuch fest einplanen. Das von Peter Zumthor entworfene Werkraum Haus fungiert als Schaufenster zu den Produkten von derzeit knapp 90 Mitgliedern – vom Tischler und Bodenleger bis zum Spielzeugmacher und Goldschmied. Höhepunkt der Werkraum-Aktivitäten ist der dreijährliche Designwettbewerb Handwerk + Form. Die Ausstellung zum diesjährigen, siebten Wettbewerb ist am 10./11. sowie 15./16./17./18. Oktober 2015 zu sehen, inklusive Dorfrundgang.
Transparenzhinweis: Im Bregenzerwald habe ich mich auf Einladung von Bregenzerwald Tourismus umgeschaut.