Mit dem DLR auf den K2
In aller dezenter Zurückhaltung darf ich sagen: Ich bin schwer begeistert. Denn ich hatte die Gelegenheit, auf dem Gipfel des K2 zu stehen. Durchgestartet in Oberpfaffenhofen, ohne große Umwege in den Karakorum, an die pakistanisch-chinesische Grenze. Dann auf den 8.611m hohen Gipfel. In der Direttissima, wenn man so will.
Bevor nun bei irgendjemandem die Schnappatmung einsetzt. – Natürlich standen wir nicht wirklich auf dem K2. Sondern wir haben uns virtuell auf den Weg gemacht. Im Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) traf ich dazu Nils Sparwasser und sprach mit ihm über die wohl fantastischsten Visualisierungen von Bergen, die es derzeit gibt.
Wer? Was? Wo?
Das DLR ließe sich als „die deutsche NASA“ bezeichnen; das zentrale deutsche Forschungszentrum, das sich neben Luft- und Raumfahrt auch mit Energie-, Verkehrs- und Sicherheitsthemen beschäftigt. Vom DLR werden die deutschen Raumfahrtaktivitäten geplant und umgesetzt. – Unter anderem von Oberpfaffenhofen aus, ein paar Kilometer westlich von München; einem der insgesamt 16 Standorte der Forschungseinrichtung.
Dort also sitze ich mit Nils Sparwasser, der sich um Wissenschaftskommunikation und Visualisierung kümmert, und darf mir Berg-Visualisierungen anschauen, die schon am Bildschirm vorbereitet sind:
Auf die Spitze getrieben
3D-Brille aufgesetzt. Kein Unterschied zum Schauen ohne Sehhilfe. Brille aus- und wieder angeschaltet. Und dann: Wow. WOW. WOOOW. – Wenn ich bis zu diesem Moment noch gemütlich auf dem Sofa gesessen habe und den Ausführungen aufmerksam gefolgt bin, rücke ich jetzt unwillkürlich nach vorne, auf die Sofakante. Es ist, als ob sich mein ganzer Körper strafft. Kein Wunder. Schließlich ist der K2 nicht nur einer dieser besonders perfekten Berge, sondern auch eine besonders ernste bergsteigerische Angelegenheit.
Dank 3D springt mir der Berg entgegen. So weit, so bekannt. Aber die Auflösung, in der sich der Berg anschauen lässt, ist extrem hoch. Technisch, wie ich erfahre, sind die Darstellungen absolut auf die Spitze des derzeit Machbaren getrieben. Wir reden von einer Auflösung von etwa einem Meter. Als ich da also am Gipfel des K2 stehe (oder sollte ich doch besser sagen: schwebe?), sehe ich zwar nicht, wie’s genau „vor meinen Füßen“ aussieht. Doch alles, was in zwei Metern und mehr Entfernung ist, kann ich bestens erkennen. Wie mit Adleraugen. Ich gucke mich nach allen Seiten um, starre ungläubig in die Tiefe. Später, als wir detailliert der Route Gerlinde Kaltenbrunner auf den K2 folgen, kann ich mir Schneerinnen, Séracs, Risse anschauen – alles in einer unfassbaren Genauigkeit.
Die österreichische Bergsteigerin war auch der Auslöser dafür, dass es diese Bergvisualisierungen so überhaupt gibt: Stefan Dech vom DLR hörte im Herbst 2010 einen Vortrag von ihr. Zu diesem Zeitpunkt fehlt „nur“ noch der K2 in ihrer 8.000er-Sammlung. Der vorerst letzte Versuch, den K2 zu besteigen, scheiterte unter tragischen Umständen. Doch Stefan Dech „spürt“, wie er später sagen wird, dass die Extrembergsteigerin an den K2 zurückkehren würde.
Mehr noch: Er überlegt, wie er, wie das DLR ihr dabei helfen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der DLR-Technik testen könnte. Es entsteht die Idee, den K2 mithilfe modernster Satellitendaten aufzuzeichnen, ihn dreidimensional zu kartieren. – Wenn alles klappt, würde man in 3D ganz genau erkennen können, wie sich am besten auf der angedachten Route aufsteigen ließe.
Der Rest ist Geschichte
Ende der Überlegung: Der Satellit World-View-2, der unter anderem für das DLR Daten sammelt, wird so eingestellt, dass die Kamera beim Überflug über den K2 Aufnahmen aus jeweils drei unterschiedlichen Perspektiven macht. Aus diesen rechnen die Wissenschaftler dann ein Geländemodell. Texturieren es. Ein dreiviertel Jahr später sind die Daten fertig. Was sich simpel anhört ist natürlich höchst technisch.
Gerlinde Kaltenbrunner kann sich im Sommer 2011 ausführlich die Visualisierung des K2 anschauen, kann sehen, welche Passagen vielleicht mehr Schwierigkeiten machen könnten, als gedacht. Und welche wohl leichter sind als zunächst angenommen. Wenig später, am 23. August, erreicht sie den Gipfel des K2. Steigt wieder herab. Ist damit die erste Frau, der es gelungen ist, auf alle 14 Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff zu steigen.
Keine Fotos. Visualisierungen!
Als ich nun physisch auf dem DLR-Sofa sitze, virtuell und mental aber auf dem K2 stehe, bin ich einmal mehr zutiefst berührt von der Ausnahmeleistung der Österreicherin. Und: Ich bin absolut begeistert von den Visualisierungen. Alles sieht täuschend echt aus, als seien es Fotos.
Ich bediene den Space Puck, einer spezielle Steuermouse, die im DLR entwickelt wurde: Ich kann den Puck nach oben ziehen, nach unten drücken, außerdem in alle Richtungen schieben, kippen und drehen – und damit überall hinschauen. Meine ersten „Geh-Versuche“ damit sind natürlich erst mal etwas holprig und unbeholfen.
Das aufwändigste an den Visualisierungen, so erfahre ich, sind die Texturen, die auf die Rohdaten gelegt werden. Dieses Aufhübschen der Berge, diese Details verlangen dem Wissenschaftler viel ab – und lassen ihn zum Künstler werden. Genau das spüre auch ich, als ich mir die wunderbaren 3D-Darstellungen anschaue.
13 Berge. 1 Buch
Bald nach dem K2-Gipfelerfolg entsteht die Idee, ein ganzes Buch aus diesen fantastischen Visualisierungen zu machen. Letztlich sind es 13 bedeutende Berge, die aus ungewöhnliche Weise aus alpinistischer Sicht porträtiert werden. Reinhold Messner erzählt Wissenswertes um die Geschichte, die kulturelle Bedeutung einzelner Berge; Erzählungen herausragender Bergsteiger runden das außergewöhnliche Buchprojekt ab, das als „m4. Mountains. Die vierte Dimension“ im Buchhandel ist. Wer also Lust auf außergewöhnliche Bilder, einprägsame Geschichten und detaillierte Hintergründe hat, dem kann ich nur empfehlen: zulegen.
Das Buch hat meinen Blick Richtung der großen Gebirge ein Stück weit geändert: Bisher war es für mich ja immer ein wenig schwierig, die bis ins Höchste gesteigerte Himalaya- oder auch Karakokum-Begeisterung nachzuvollziehen. Denn schließlich haben wir hier in Europa auch schöne Berge. Doch nachdem ich diese Bilder gesehen habe, weiß ich: Da würd ich dann doch gerne mal hin. Ich muss ja nicht gleich auf den K2 steigen. Um den Kailash, den Tanzplatz der Götter, den heiligsten Berg der Buddhisten und Hindus, herumzulaufen würde schon völlig genügen!
Das Buch „m4. Mountains – Die vierte Dimension“ von Stefan Dech, Reinhold Messner und Nils Sparwasser ist im Malik-Verlag erschienen. Umfang 240 Seiten, Hardcover. In jedem Buchladen oder beim Verlag für 50,00 Euro (D) zu bestellen. ISBN: 978–3–89029–472–8.
Übrigens, Gewinnmöglichkeit: Bis 30. November 2016 hast du im Blog vom Schwarzfuchs die Chance, ein Exemplar des Buches zu gewinnen. Fix vorbeischauen!
Noch was: Unter dem Titel „Weltberge – m4, die Vierte Dimension“ wird Reinhold Messner auch mit Bildern auf Vorträgen zu sehen sein, unter anderem im Gasteig in München, am 1. April 2017.
Das Buch “m4. Mountains – Die vierte Dimension” hat mir der Malik-Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.