Wandernd auf der Hersbrucker Alb
Ich hatte Sie früher erwartet“, merkt Rainer Wölfel bei unserer Begrüßung berechtigterweise an. Ich erkläre unser Zu-spät-Kommen mit dem schönen Tag und mit der tollen Landschaft. Sowie mit einem Missverständnis: denn wir waren um zehn dort erschienen, wo wir erst um zwölf hätten sein sollen. Zwei Stunden warten, quasi nichts tun? An so einem wunderbaren Maitag? – Nein, die Zeit wollte genutzt werden. Und überhaupt scheinen die Dinge viel besser verständlich, wenn man sich selbst schon mal ein erstes Bild gemacht hat:
Hier auf der Hersbrucker Alb, östlich von Nürnberg, ist es das Bild einer recht kleinteiligen Mittelgebirgslandschaft. Die Region, die auch Hersbrucker Schweiz genannt wird und so etwas wie die kleine Schwester der nördlich anschließenden Fränkischen Schweiz ist, zählt zu den artenreichsten Landschaften in Deutschland. Mehr als 1.000 – mitunter sehr seltene – Pflanzen findet man hier.
Begründet ist diese außergewöhnliche Artenvielfalt nicht zuletzt durch die historische Nutzung der Hersbrucker Alb: Jahrhundertelang haben die Bauern ihr Vieh auf die Weiden getrieben, auf die sogenannten Hutanger: „Hut“ deutet auf das Hüten der Tiere hin, „Anger“ auf gemeindeeigenes Grasland. Ein beim Dorf angestellter Hirte kümmerte sich dabei um das Vieh.
Solche gemeindeeigenen Flächen, Allmende, gab es früher überall in Mitteleuropa. Nach und nach wurden sie aufgeteilt. Nicht so bei Hersbruck. Hier hat sich die Hirtenkultur noch bis in die 1960er Jahre erhalten, denn viele Flächen kamen für andere Bewirtschaftungen nicht in Frage; die engen Täler und kargen Hochflächen waren unattraktiv. Über die Jahrhunderte haben so Pflanzen eine Nische gefunden, die mit eher unwirtlichen Bedingungen zurechtkommen: Kühchenschelle und Silberdistel zum Beispiel.
Nachdem die Hutanger nicht mehr beweidet wurden, verbuschten die Weiden schnell, der Artenreichtum drohte verloren zu gehen. Dem setzten Mitte der 1980er Jahre Naturschützer eine Idee entgegen: Was, wenn die Flächen wieder genutzt würden, so wie eh und je? Es dauerte bis 1999, dass das Projekt vorangeschritten war und ein erster Wiederbeweidungsversuch unternommen werden konnte.
Heimathelfer
Im sogenannten „Hutangerprojekt“ war Rainer Wölfel von Anfang an dabei. Heute bewirtschaftet er nicht nur eigene Flächen, sondern ist Gebietsbetreuer für die Hutanger. Gemeinsam schlendern wir eine kurzes Wegstück in das Molsberger Tal hinein, wo auf einer kleinen Weide einige Mutterkühe und Kälber weiden. „Bei unserem Projekt geht es darum, historische Weideflächen zu erhalten und im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung auszubauen“, erklärt mir der Hutangerkenner.
Müssten sich die Hutanger dem Diktat der Marktwirtschaft unterordnen, wären sie wahrscheinlich nicht wieder beweidet worden. Doch es geht um anderes: die Rinder sind kostengünstige Landschaftspfleger, die dem Naturschutz und der Artenvielfalt dienen. Kostendeckend ist das Projekt bis heute nicht. „Wir sind auf Paten angewiesen, die unsere Heimatlandschaft erhalten wollen, die eine emotionale Bindung an die Gegend haben“. Die Paten helfen finanziell, können sich aber auch selbst einbringen. „Außerdem ist das Fleisch unserer Rinder sehr beliebt; Paten werden über die Schlachttermine als Erste informiert“.
Heimathonig
Von der Pflanzenvielfalt auf der Hersbrucker Alb profitieren auch die Bienen, wie mir später Jonas und Daniel Scholz erklären. Die beiden, Vater und Sohn, leben ein paar Kilometer weiter, in Kainsbach. Als „Honigwanderer“ ziehen sie mit ihren Bienenvölkern zu extensiv genutzten Streuobstwiesen und Weiden. „Zum Glück gibt es noch Gegenden wie diese, die nach wie vor unbelastet sind.“ Das Imkerduo hat sich in seiner Freizeit voll und ganz dem Bio-Honig verschrieben. Nicht die maximale Ausbeute, sondern das Wohlergehen der Bienenvölker steht dabei im Mittelpunkt. Frühjahrs- und Sommerhonig sammeln die Bienen auf den blühenden Streuobstwiesen der Hersbrucker Alb; weitere Sorten sammeln sie woanders, in Landschaftsschutzgebieten und Biosphärenreservaten.
Naturnahe Imkerei heißt für die Honigwanderer auch, dass sie nur Bienenstöcke aus Holz verwenden. Und dass, anders als in der herkömmlichen modernen Imkerei, ausschließlich mit Naturwaben gearbeitet wird. Auch wenn dieses natürliche Lebensumfeld für die Bienen bis zu einem Drittel weniger Honigertrag für die Imker bedeutet.
Wir probieren uns durch diverse Honigsorten: goldgelber Akazienhonig und aromatischer Lindenblütenhonig stehen zur Wahl, der harzig-würzige Waldhonig und der kräftige Tannenhonig, zur Krönung der dunkle Honig der Edelkastanie.
Mein Favorit ist der Sommerblütenhonig. Natürlich muss ich ein Glas mitnehmen. Honig ist seit Langem mein bevorzugtes Mitbringsel von Ausflügen und Reisen. Und so genieße ich – Messerspitze um Messerspitze, Teelöffel um Teelöffel – noch lange auch zu Hause den Geschmack der Hersbrucker Alb.
Tipps
Mehr über das Hutangerprojekt ist unter www.hutanger.de zu erfahren.
Ein zwölf Kilometer langen Rundkurs führt vorbei an mehreren Hutangern. Für die einfache Wanderung sind gemütliche drei Stunden einzuplanen.
Das Imkern ist – als Zeidlerei – traditionell eng mit dem Nürnberger Land verbunden.
Mehr über die Hirtenkultur erfährt man im Deutschen Hirtenmuseum in Hersbruck. In einem denkmalgeschützten Ensemble mit einem ehemaligen Ackerbürgerhaus, einer Scheune sowie einem Garten kann man alles über einen der ältesten Berufe der Menschheit lernen. Auch Zeit mitbringen für das Café im großen Innenhof.
Transparenzhinweis: Die Hersbrucker Alb habe ich im Rahmen einer Pressereise von Nürnberger Land Tourismus kennengelernt.