Bitter sweet symphony in Brandenburg
Ja, es gibt diese bitteren Momente: In denen du durch das östliche Brandenburg fährst. Und du Beklemmungen bekommst. In manch einem Ort, in dem nicht wenige Grundstücke zwischen von-der-Natur-abgerungen und der-Natur-überlassen am Laufen gehalten werden. Wo nicht ganz klar ist, ob das alles ein Nicht-Können oder Nicht-Wollen ist. Seit Jahren. Seit Jahrzehnten. Schon immer eigentlich. Orte, durch die du nachts mit dem Auto fährst; die Häuser nur erhellt vom Lichtkegel deines Scheinwerfers. Auftauchend und wieder verschwindend. Orte, an denen der Fuchs vorbei läuft, im Fahrtlicht von rechts nach links über die Straße spurtend.
Und es gibt diese süßen Momente: In denen du durch das östliche Brandenburg läufst. Und du tief durchatmest. Die untergehende Nachmittagssonne des Spätwintertages taucht die Landschaft in diese wunderbaren Farbtöne. Weich, leuchtend. Selbst wenn du die Gegend nicht kennst: Die Weite des Landes ist spürbar und allgegenwärtig.
Zum Beispiel im Oderbruch. Einst regelmäßig vom Hochwasser der Oder überschwemmt, wurde das Oderbruch im 18. Jahrhundert trocken gelegt. Hinter den schützenden Deichen kleine Dörfer. Oder Siedlungen, die hier mitunter Loose genannt werden. Zäckericker Loose ist so eine Ansiedlung. Gleich daneben: Zollbrücke. Wenige Häuser nur, etwa genauso wenige Einwohner.
Du stehst auf dem Deich. Zu deiner Rechten die Oder, dahinter Polen. Würdest du den Deich flussabwärts radeln, kämst du schon bald in den Nationalpark Unteres Odertal. Zwei Länder, ein Nationalpark – verbunden durch die Oder.
An und in der Oder stehend: durch und durch zernagte Weiden. Die Biber haben sich in den letzten Jahren bestens vermehren können. Zu gut, wie der eine oder andere meint.
Zu deiner Linken neben dem Deich – fast müsste man sagen: auf dem Deich – zwei, drei kleine Fachwerkhäuser. Hinter den Dachfirsten verschwindet gleich die Sonne. Doch zuvor taucht sie ein paar Wolken über der Oder in ein Rosarot. Etwas entfernt am Ufer eine Gruppe Menschen um einen Tisch. Fetzen einer kurzen Ansprache dringen zu dir hinüber. Wahrscheinlich ein Geburtstag. Was sich hier schon im Spätwinter so wunderbar gibt, wie schön muss das erst wieder im Sommer sein …
Später, als es dunkel ist, stehen in Zollbrücke gut 50 Menschen vor einem Zaun. Die meisten gewappnet mit Decke und Sitzkissen. Auch du reihst dich ein. Gemeinsam wartet ihr darauf, dass das „Theater am Rand“ seine Pforten öffnet.
Ein wenig wirkt das Theater wie ein windschiefes Zirkuszelt. Die Initiatoren sind sich bewusst, was kritische Zungen behaupten: Man wüsste manchmal nicht, ob etwas auf- oder abgebaut wird … Ist auch egal, denn der Programm-Mix ist so außergewöhnlich wie abwechslungsreich. Das wissen auch die Berliner und kommen inzwischen in Scharen. Es ist ratsam, telefonisch zu reservieren. Wer nicht schnell genug ist, muss mit der Warteliste vorlieb nehmen.
In den späten 90er Jahren, als in Zollbrücke im „Theater am Rand“ alles anfing, wurde in dem kleinen Haus nebenan gespielt. Im Wohnzimmer. Mehr als drei Dutzend Menschen passten damals nicht in die gute Stube. Heute sind es rund 200 Gäste, die unter der großen Kuppel zumeist auf schweren Holzplanken sitzen. Dafür dann die Kissen und Decken.
Wer ins Theater am Rand kommt, der zahlt, wenn’s ihm gefällt. Er zahlt den Betrag, dem ihm die Kunst, die er erlebt hat, Wert ist. „Eintritt bei Austritt“ ist das Motto. Ein wunderbares Konzept. Und du bist dir sicher: Es wird nicht dein letztes Mal im Oderbruch, ganz am Rand von Brandenburg, gewesen sein.