Dies sei, so hatte es geheißen, der wohl letzte Winter für die Siedlung. Der letzte Winter für die von der Zeit und vom unausweichlichen Ende der Erbpacht zerschlissenen Häuser. Kleine Häuser in großen Gärten. In für die Stadt scheinbar unerhört riesige Gärten. Verwilderte Gärten, in denen alte Bäume im Sommer angenehmen Schatten spendeten und jetzt, so lange es kalt war, warme Verstecke für allerlei Tiere boten. Gärten, die, so machte es den Eindruck, von ihren ehemaligen und Noch-Nutzern oft nur noch an den Wochenenden aufgesucht wurden. Oder gar nicht mehr, weil diese Zeiten – so das wirtschaftliche Kalkül und der politische Wille – ein für alle mal vorbei waren.
Aus ihren mit Spanplatten vernagelten Fenstern guckten einige der Häuser wie mit leeren Augen. Daneben und dazwischen, aus wenigen, allerletzten Schornsteinen, windschief einer wie der andere, stieg Rauch auf. Ein Atmen. Ein Lebenszeichen. Ein untrüglicher Beleg dafür, dass es Menschen gab, die noch hier wohnten bis Bagger und Abrissbirne endgültig kämen.
Samtweißer Schnee fiel aus dem schweren, grauen Himmel, der sich zu der kleinen Siedlung feierlich hinunterzubeugen schien an diesem Januartag, einem Feiertag im Land, an dem bis heute viele Häuser gesegnet wurden, auch in der Stadt. Würde an diesem Tag auch nur ein einziges, allerletztes bewohntes Haus in der Siedlung diesen Brauch erleben? Doch statt Caspar, Melchior und Balthasar samt Reittieren kam einzig ein älterer Mann samt großem, dunklen Hund durch den Schnee gestapft.
Der Schnee hatte die Schlaglöcher zugedeckt und überhaupt die unbefestigten Wege, die sich „Straßen“ nannten, wohl in einstiger Vorfreude auf eine Zukunft, die jedoch nie eingetreten war und so auch nie eintreten würde.
Es war der letzte Winter der alten Eggarten-Siedlung in München.