Deutschland Unterwegs mit dem Rad

1.000 Kilometer Heimat

Mit dem Rad um München: Herbst nahe der Mangfall

Mit dem Rad rund um München

Gut möglich, dass es diese Idee ohne die Pandemie nicht so schnell gegeben hätte. Sehr gut möglich sogar. Denn für gewöhnlich lockten doch eher die Alpen. Spanien, der eine oder andere Nationalpark, das Meer. Altbekanntes in der Nähe und Neues in der Ferne. Doch dann kam 2020. Gewohnheiten wurden, wenn nicht gleich ganz und gar unmöglich und über den Haufen geworfen, so doch hinterfragt: Was fühlt sich in dieser Situation richtig an? Was gut?

Die ganz persönliche Antwort auf diese Fragen: Ausflüge in die Natur nochmals anders angehen als zuvor. Das ganze möglichst unkompliziert gestalten: Mit Start von daheim. Vielleicht eine Übernachtung auswärts oder auch nicht. Ganz, wie’s sich ergibt. Und nicht zuletzt auch: wie es die Pandemie zulässt.

Den Raum „vor der Haustür“ erkunden. – So, wie man es als Kind gemacht hat: nicht auf den ewig gleichen Wegen. Sondern mit diesem inneren Drang, der auf nicht mehr und nicht weniger gerichtet ist, als die Umgebung zu entdecken und den eigenen Aktionskreis Tag für Tag zu erweitern. Mal nach links, mal nach rechts abbiegend. In Straßen, Gassen, Hinterhöfe schauend. Unbedeutende Verbindungsstraßen zwischen Dörfern nutzend, Schleichwege durch Niemandsland.

Münchner Radlringe

Die Idee, den Heimatort zu umrunden, beantwortet München mit gleich mehreren Radlringen. Der kleinste von ihnen ist der Altstadtring. Wie oft hatten wir ihn schon gefahren – nicht, weil er sonderlich schön oder gar sicher wäre, sondern einfach, weil es sich im Alltag so ergibt? Latent attraktiver, grüner und angenehmer zu fahren: der Innere Radlring – auch diese 15 Kilometer lange Strecke ergibt sich im Alltag immer wieder mal fast von selbst. Dann: der Äußere Radlring. – Obwohl ausgeschildert, lohnt es sich, die Wegführung auf einer App oder sonst wie in der Tasche zu haben. Auf der rund 50 Kilometer langen Strecke, die durch viele Wohngebiete führt, ist man sonst an der einen oder anderen Stelle schildlos unterwegs und das Zurückfinden auf den Weg ist nicht unbedingt selbsterklärend. Ganz ohne Zusatz kommt der „Radlring München“ aus. – Gut 140 oder ein paar mehr Kilometer. Entspannt als Zweitagestour machbar. Oder auch einigermaßen sportlich an einem Tag. Von letzterem hatten wir uns an einem morgens nasskalten, nachmittags schwülwarmen Junitag überzeugt.

Von nun an waren eigene Wege gefragt. Ein Blick in die Karte half: warum nicht einfach die S-Bahn-Endhaltestellen miteinander verbinden? Gesagt getan. Gut 300 Kilometer kamen auf diese Art zusammen; verteilt auf drei aufeinanderfolgende Tage.

Münchner Radlblume

Das alles gewissermaßen ein Vorgeplänkel zu einem Projekt, für das einige wohltemperierte Herbstwochenenden brauchbar wären:

100 Kilometer Heimat mit dem Rad rund um München
Radlblume

Abermals waren die S-Bahn-Endstationen Ausgangspunkt und Ziel unserer Radltage. Mit dem Unterschied, dass wir nun halbwegs gemütliche Tagestouren jeweils in Schleifen legten: Von Geltendorf hinüber nach Landsberg, ein Stück den Lech hinab und nach Mammendorf. Von dort wieder hinaus nach Friedberg, alsbald die Paar hinunter und nach Altomünster. – Derlei Runden.

Das Interessante dabei: das Erkunden der Zwischenräume. Überraschend oft war dieser Raum vor allem eines: ziemlich leer. Obwohl wir uns gewissermaßen immer im Großraum München aufhielten; zwischen Lech und Inn, zwischen Holledau und Alpenvorland.

Wir kamen durch unzählige abgelegene Weiler und über alte Höfe, die für gewöhnlich wohl nur die kennen, die in unmittelbarer Umgebung leben. Vorbei an imposanten Kirchen und Türmen, die vor Jahrhunderten kühnen Träumen entsprungen sein müssen.

„Also, Gäste, die mit Fahrrad anreisen, hatten wir bisher noch nicht“, hieß es in dem Hotel, in dem wir nahe zum Flughafen übernachteten. Überhaupt hatten sie andere Gäste gerade nicht – das Hotel so leer wie die Startbahn. Pandemie-Jahr eben. Traurig. Doch eine Gelegenheit, um mit dem Personal länger ins Gespräch zu kommen, das dennoch den Betrieb am Laufen hielt, für den Fall der Fälle.

So hangelten wir uns durchs Münchner Umland. Mal als Tagestour, mal mit einer oder mehr Übernachtungen. Wir lernten Schleichwege kennen. Ein paar qualvolle, fiese Anstiege; ebenso wie lange, schnelle Abfahrten. Ich war glücklich über die Spielereien des morgendlichen Herbstnebels. Nur um wenige Stunden später über die unerquicklichen Seiten des zähen Graus zu fluchen, der die Sonne doch nicht durchließ und in dem Finger und Zehen immer eisiger wurden. In solchen Augenblicken wiederum verlagerte sich das Glück zum nächsten Bäcker, der Unterschlupf und Wärme für eine halbe Stunde oder mehr bot. Und ja: manchmal fanden wir uns auch einfach am Bordstein eines beton-versiegelten Supermarktparkplatzes wieder; selbst dort letztlich froh, dass überhaupt was ging, wir unseren Proviant auffüllen und unsere Runde trotz bald wieder einsetzenden Schließungen organisieren und fortsetzen konnten.

Nach 1.000 Kilometern und ein paar mehr wieder dort angekommen, wo alles angefangen hatte. Dankbar, dass wir all das erleben durften. Trotz oder gerade wegen allem.

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