Kunst in Kochel
Was genau es denn sei, das die Münchner nach Kochel fahren lässt, wurde ich unvermittelt gefragt. Es war Anfang Mai, die Temperaturen ließen abrupt von Frühlings- auf Sommerklamotten umschwenken und wir saßen am Kochelsee. Der tat, als wolle er an diesem Nachmittag ein wenig dem Walchensee Konkurrenz machen, so glitzernd-türkis kam er daher.
„Das Museum“, hörte ich mich sagen, denn in den letzten Jahren war ich immer wieder mal seinetwegen nach Kochel gefahren.
„Und sonst so?“, insistierte mein Gegenüber. – Ich dachte nach und hörte mich meine Gedanken langsam und laut formulieren:
Der See ist es nicht. – Da kommen erst einmal vor allem der Starnberger See und der Ammersee in Frage. Ganz gleich wofür. Sie sind eben näher.
Die Berge sind es auch nicht so richtig. Selbstverständlich ist der Jochberg ein netter Kandidat, den man auch früh oder spät im Jahr gut und gerne mal besteigen kann. Und natürlich ist die kleine Gratwanderung zwischen Herzogstand und Heimgarten wirklich zu empfehlen. Aber der Trubel, der die meiste Zeit von Bergbahn-Gipfeln ausgeht, verschreckt mich regelmäßig.
Die Hotels und Pensionen? – Ratlosigkeit, denn darüber hatte ich mir noch nie ernsthaft Gedanken gemacht und spontan würde ich mich wohl auch erst einmal in anderen Orten in der Umgebung umschauen.
Mein Gegenüber insistierte weiter: Ob das Museum denn wirklich für einen Besuch ausreiche? – Ich nickte vorsichtig, in dem Bewusstsein, dass ich natürlich nicht für 1,5 Millionen Münchner sprechen kann. „Allein schon der Ausblick aus dem Panoramaraum!“, meinte ich noch.
Das Museum also. Genauer gesagt: Das Franz Marc Museum, ein privat geführtes Museum, das sich der Kunst von Franz Marc und der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ verschrieben hat.
Das Museum, so erfuhr ich am nächsten Tag, während uns die Museumsdirektorin Dr. Cathrin Klingsöhr-Leroy durch die Räume führte, ging 1986 mit der Idee an den Start, die Bilder von Franz Marc in der Umgebung zu zeigen, in der sie geschaffen wurden: Der Künstler hatte schon in der Kindheit viel Zeit in der Region verbracht; als 30-jähriger zog er 1910 nach Sindelsdorf, denn die Landschaft berührte ihn nach wie vor.
Da wäre zum Beispiel „Große Landschaft I“, das als ein Schlüsselwerk von Franz Marcs Arbeit gilt. Das große Gemälde, auf dem vier Pferde zu sehen sind, war ursprünglich breiter und höher. Franz Marc hat das Bild nach der Fertigstellung kurzerhand beschnitten. Ein linker Teil hängt in Stuttgart, ein anderes Teilstück in New York. Auf dem Bild, das in Kochel zu sehen ist, ist der Ausschnitt also durch das Beschneiden „herangezoomt“ und wichtiger geworden, was zu einer starken Emotionalisierung der Pferde führt.
Die Pferde, so lernen wir während der Führung außerdem, hatten ursprünglich blaue Schweife und Mähnen: Das war stimmig, denn auf dem einst größeren Bild waren die Berge und der Himmel blau. Nachdem Franz Marc das Bild dann zurechtgestutzt hatte, übermalte er das Blau an den Tieren, denn jetzt schien grün stimmiger. – Es sind solche Details, gepaart mit der Expertise und dem Enthusiasmus von Spezialisten, die eine Museumsführung für mich rund machen.
Die Kunstwerke der Dauerausstellung und Sonder-Präsentation, für die auch regelmäßig hochkarätige Leihgaben aus der ganzen Welt ihren Weg nach Kochel finden, hängen seit 2008 in einem kubischen und zunächst recht streng wirkenden Museumsneubau, der auf drei Etagen kleine Kabinetten und großen Säle beherbergt. Und dann wäre da noch der Panoramaraum. – Frei von Kunst. Und mit einem grandiosen wie beruhigenden Blick durch das riesige Fenster – auf den Kochelsee sowie auf die Gipfel von Herzogstand und Heimgarten.
Zu dieser Ruhe, die an jedem x-beliebigen Museumstag zu spüren ist, trägt wohl auch die Tatsache bei, dass im Museum nicht fotografiert werden soll. In Zeiten von Instagram & Co lassen sich zu einem Fotografierverbot zweifelsohne genügend Gegenargumente finden. Doch das Konzept, das Museum als Freiraum zu verstehen – auch, um Ruhe für andere zuzulassen, wirkt tatsächlich … einfach nur entspannend.
Tipps
Hin und weg: Von München aus ist Kochel mit der Bahn – ohne umzusteigen – in gut einer Stunde erreichbar.
Kunstspaziergang: Direkt am Bahnhof kann man sich auf einen Kunstspaziergang durch den Ort begeben. An mehreren Stellen lässt sich in die Landschaft hineinfühlen, die Franz Marc Vorlage für seine Gemälde waren: am Bahnhof in die „Hocken im Schnee“ oder die „Flatternde Wäsche im Wind“, wie sie noch heute mitunter wie hindrapiert im Fischerviertel hängt. Auch der Abstecher auf die Kohlleiten ist allein schon des Ausblicks wegen hübsch. Die von Franz Marc als „Tränenhügel“ titulierte Erhebung ist auf seinem Ölgemälde „Zwei Frauen am Berg“ verewigt – der Künstler lebte im Sommer 1906 in dem Dilemma, sich nicht so recht zwischen zwei Frauen entscheiden können.
Apps & Führung: Sowohl für den Kunstspaziergang durch Kochel als auch für das Franz Marc Museum gibt es eine digitale Begleitung. Wenn man lieber in fachkundiger und leicht verständlicher Begleitung unterwegs ist, kann man über das Tourismusbüro Kochel auch einen geführten Kunstspaziergang buchen. Wer mag, wird bei dem auch selbst ein paar Minuten künstlerisch aktiv.
Über den Panoramaweg, der direkt hinter dem Museum beginnt, lassen sich Museumsbesuch & Kunstspaziergang gut kombinieren. Es geht dazu durch den kleinen Franz Marc Park mit seinen Skulpturen (Headerbild) und auf den Rothenberg. Von dort hinüber zur Kohlleiten.
Kaffeepause: Im Altbau des Museums ist das gemütliche Café & Restaurant Blauer Reiter eingerichtet; im Sommer sitzt es sich dort auch gut auf der Terrasse.
Ich war während einer Pressereise vom Zwei-Seen-Land Gast im Franz Marc Museum. An einem Maimontag kamen wir in den Genuss einer Sonderführung, bei der wir auch einige Fotos machen durften.