Ausstellung im Gasometer Oberhausen
Im Zweifel den Einheimischen vertrauen!, schießt es mir durch den Kopf. Das gilt in den Alpen genauso wie im Ruhrgebiet. Zwar fühle ich mich mit meinem dicken Wollmantel und einem kuscheligen Tuch um den Hals hervorragend gerüstet für die bevorstehenden ein, zwei Stunden. Doch als mir die Mitarbeiterin am Einlass des Gasometer Oberhausen die Karten aushändigt, nicht ohne vorsichtig nachzufragen, ob ich noch eine zusätzliche Jacke dabei hätte, ist schnell klar: Sie weiß genau, wovon sie redet. Einfach vertrauen!
Keine zehn Minuten später bin ich heilfroh um ihren Rat. Obwohl ich nun doppelschichtig dick eingemummelt bin, kriecht die Kälte schnell überall hinein. Gut möglich, dass auch die großformatigen, winterlichen Fotos der Ausstellung „Der Berg ruft“, die gleich zu Beginn meines Rundgangs meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dieses Gefühl von Kälte unterstützen.
Der Gasometer Oberhausen – Industriedenkmal der Superlative
Der Gasometer Oberhausen ist einer der wohl außergewöhnlichsten Ausstellungsräume Europas, der höchste allemal: 117 Meter hoch ist er, 68 Meter im Durchmesser. 1929 als Speicher für Gichtgas, später für Kokereigas in Betrieb genommen, sollte er nach seiner Stilllegung 1988 zunächst abgerissen werden. Statt dessen entschied sich die Stadt Oberhausen nach einigem Hin und Her, das Gebäude von der Ruhrkohle AG zu kaufen und für Ausstellungen zu nutzen.
Zufrieden waren mit der Zeit nicht nur Denkmalschützer. Heute ist der Gasometer als Industriedenkmal in die Europäische Route der Industriekultur eingebunden, ein sicherer Publikumsmagnet und ist nicht zuletzt ein fester Bezugspunkt im Ruhrpott-Panorama.
Drinnen also: Dunkelheit. Wie geschaffen für Fotoausstellungen. Denn in seiner Architektur mutet der fensterlose Zylinder wie ein überdimensioniertes Fotolabor an. Mit übergroßen, frei in der Luft hängenden Leuchttischen.
Die Berge – Spielplatz, Sehnsuchtsort, Lebensraum
Auf ihnen: Hier eine schier endlose Karawane von mit allem Pipapo ausgestatteten Mount-Everest-Aspiranten, die auf knapp 8.000 Metern freiwillig in die Todeszone steigen. Da das Foto eines einfachst gekleideten Hirten am Thamsarpass, der auf 4.800 Metern Höhe Obacht gibt, dass die ihm anvertrauten Schafe und Ziegen sicher über die Berge gelangen. Dann wieder ein Polarfuchs, dessen eindringlichen schwarzen Augen, begleitet von einer ebenso dunklen Nase, aus dem Nichts des Whiteouts auftauchen.
Die Ausstellung zeigt auf zwei Etagen die Berge als Spielplatz für Abenteurer, als Sehnsuchtsort für Genießer. Aber auch als extremer Lebensraum für Tier und Mensch, genauso wie als Heimstatt für Götter. Ebenfalls dabei: großartige Aufnahmen von klein- oder großteiligen Gesteinsstrukturen, die sich oft erst auf den zweiten oder dritten Blick entschlüsseln lassen. – Berge also in all ihren Dimensionen.
Überdenkt man diese Vielfalt der Themen und Motive, dann überrascht es ein wenig, dass die Macher der Ausstellung tatsächlich der Versuchung erlegen sind, mit „Der Berg ruft“ einen der griffigsten – aber eben auch abgegriffensten Titel zu wählen. Denn einfach zu stark sind diese drei Worte mit der Alpin(-sport)- und Filmgeschichte verwoben; mit dem Pathos einer Zeit, in der man noch mit einem Berg kämpfte, ihn bezwang oder an ihm scheiterte.
Das Matterhorn – die perfekte Pyramide
Und letztlich passt der Titel doch. Denn als logische und eindrucksvolle Klammer für die Ausstellung fungiert das Matterhorn. Der Engländer Edward Whymper hatte den Schweizer Gipfel am 14. Juli 1865 als Erster bestiegen. Der Film „Der Berg ruft“ von 1937/1938 greift die Geschichte des Wettlaufs um den Gipfel auf.
Gleich beim Betreten des Gasometer lässt sich auch ein originaler Gesteinsbrocken vom Gipfel des Matterhorn anschauen. Einer der Höhepunkte der Ausstellung hängt wiederum kopfüber von der Gasometer-Decke in der dritten Ebene: eine maßstabsgetreue Matterhorn-Skulptur. Auf dieses tonnenschwere Modell werden modernste 3D-Projektionen gebracht. Zum Beispiel – der Kreis schließt sich – die Aufstiegsroute von Edward Whymper. Anschauen kann man sich das ganze entweder gespiegelt im Boden. Oder gemütlich fläzend auf einem der Sitzsäcke, die auf den Treppen verteilt sind. Tatsächlich entsteht in dieser Position der Eindruck der Vogelperspektive, aus der man das Matterhorn von allen Seiten inspiziert.
Ermöglicht hat diese Matterhorn-Projektionen das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR): Das Erdbeobachtungszentrum des DLR sammelt mit Satelliten hochpräzise Daten, die beispielsweise nach Erdbeben für die humanitäre Hilfe genutzt werden. Um die Leistungsfähigkeit der DLR-Technik zu testen, entwickeln sich immer wieder spannende Projekte. So visualisierte die Mitarbeiter zunächst den K2, später weitere zwölf bedeutende Berge, darunter auch das Matterhorn.
Nicht versäumen: Zum Schluss noch mit dem Glasaufzug hinauf zur Aussichtsplattform auf dem Dach des Gasometer fahren und den Rundumblick auf den Ruhrpott und seine hoch aufgetürmten Abraumhalden auf sich wirken lassen. Spätestens dort gilt dann: „Der Berg ruft. – Die Halde antwortet.“
Gut zu wissen
Die Sache mit der Wärme. – Der Gasometer ist weder beheizt noch wirklich gut belüftbar. Heißt: An kühleren Tagen ist’s im Inneren gerne kalt, nach einer Reihe von heißen Tagen schnell warm. Wer die Wahl hat, wählt einen Besuchstag mit Temperaturen irgendwo dazwischen.
Ein spannendes Begleitprogramm bringt Bergsteiger, Abenteurer, Extremsportler nach Oberhausen. – Wer schnell ist, bekommt vielleicht noch eine Karte für die Vorträge u.a. von Gerlinde Kaltenbrunner oder auch Reinhold Messner. DAV-Mitglieder bekommen einen kleinen Preisnachlass für Ausstellung und Vorträge.
Die Ausstellung ist verlängert und bis zum 27. Oktober 2019 zu sehen. Das ist auch die vorerst letzte Möglichkeit, das Gasometer-Innere zu inspizieren. Danach steht nach 25 Ausstellungsjahren eine umfangreiche Sanierung an, unter anderem wird ein neuer Rostschutz angebracht. Voraussichtlich im Frühjahr 2021 wird es mit der nächsten Ausstellung weitergehen. Alle aktuellen Infos auf der Website des Gasometer Oberhausen.