Auf Saumpfaden über den Felber Tauern
Ringsum Wolkengewaber. Der Pfad schlängelt sich die felsdurchsetzten Bergwiesen empor. Es hat sich eingeregnet. Auf etwa 2.000 Metern, etwa 600 Höhenmeter nach unserem Start am Hintersee, stoppen wir. Kurze Lagebesprechung, nochmaliger Wettercheck. „Wenn jemand umkehren möchte, wäre jetzt der richtige Moment“, erklärt Nationalpark-Ranger Emanuel und schaut jedem von uns prüfend in die Augen. Doch für alle in der Gruppe ist klar: Kneifen ist nicht! Der Regen ist zwar etwas lästig, aber es gibt heute keine objektiven Gefahren, die uns über das Umkehren nachdenken lassen müssten. Die Säumer sind hier früher schließlich auch bei Wind und Wetter drüber.
Wegen der Säumer sind wir hier. Um genau zu sein: Wegen des Felber Tauern, einen von mehreren Gebirgspässen, die sich für den Warenverkehr über die Alpen anboten und über den die Säumer jahrhundertelang ihre Waren transportierten. In ihrer ursprünglichen Bedeutung sind die „Tauern“ einfach „Hohe Übergänge“, also „Pässe“, die mit dem Bergbau und dem damit verbundenen Warentranspaort im Mittelalter ihre Blütezeit hatten. Seit jeher war der Weg über den Felber Tauern eine wichtige Lebensader. Über den Pass wurde von Nord nach Süd neben anderen Gütern vor allem Salz transportiert, auf dem entgegengesetzten Weg gelangte insbesondere Wein in den Norden.
Der Felber Tauern ist die kürzeste Verbindung zwischen dem Mittersiller Felbertal und dem Matreier Tauerntal. Das besondere daran: Der Felber Tauern, genauso wie andere Pässe in der Nähe – wie der Krimmler Tauern oder der Kalser Tauern – war nicht mit Fuhrwerken befahrbar. Stattdessen ging man zu Fuß. Saumtiere – Pferde und Esel – halfen beim Transport der Lasten. Jeder der Säumer trug etwa 60 Kilogramm Last über die Berge. Ein „Ross-Saum“, ein Pferd also, schleppte 168 Kilogramm.
Lebensader Felber Tauern
Erst später, als sich mit der Entwicklung des Eisenbahnnetzes der Fernhandel auf die niedrigeren Pässe verlagerte, verlor der Felber Tauern seine Bedeutung. Auf der Südseite des Felber Tauern verschärfte sich die Randlage des Bezirks Lienz, als Tirol nach dem Ende des 1. Weltkriegs zerrissen wurde. 1967 dann: Die Einweihung der Felbertauernstraße samt Tunnel, die seither auf einer Strecke von 36 Kilometern Mittersill und Matrei verbindet und die das Hin- und Herwechseln zwischen den Tälern zu einem Leichten macht. Wie präzis der Begriff „Lebensader“ die Funktion dieser Verbindung beschreibt, zeigte sich 2013: Ein großer Felssturz verschüttete am 19. Mai die Schildalmgalerie unterhalb des Tunnel-Südportals und hinderte Pendler und Touristen, den inzwischen als selbstverständlich empfundenen Weg zu nutzen. Zwar war bald wieder eine Fuß-Bus-Verbindung eingerichtet; Autos und LKW mussten aber zweieinhalb Monate lang weite Umwege in Kauf nehmen, bevor eine erste Behelfslösung gebaut war. Im 2015 war dann die reguläre Nutzung der Straße wieder möglich.
Oben, auf dem alten Saumweg ist eine andere Funktion der Lebensader Felber Tauern erkennbar: Große Masten säumen unseren Weg den Berg hinauf und hinab. Sie schultern Stromleitungen, die im Regen kräftig knistern. Aber am allermeisten fallen Stromleitungen ja immer dann auf, wenn man die ansonsten hinreißende Landschaft fotografieren will.
Unter der Erde führt außerdem ein 7,3 Kilometer langer Stollen durch den Alpenhauptkamm. In ihm befindet sich die Transalpine Ölleitung, die Erdöl von Triest nach Ingolstadt transportiert. Mit Blick auf all diese Infrastruktur erklärt sich, warum der Nationalpark Hohe Tauern, das größte Naturschutzgebiet der Alpen, hier am Felber Tauern in zwei Hauptteile zerschnitten ist.
Die umliegenden Berge erahnen wir heute nur. Hin und wieder geben die Wolken einen Bergrücken oder auch mal einen Gipfel frei. Das bei Sonne sicher hübsch für eine Pause geeignete Nassfeld lassen wir links liegen; der Wind, der vom auf den Anfang Juli Altschnee-berandeten Plattachsee hinaufstreift, lässt dann doch auch den letzten etwas frösteln.
Genau im richtigen Moment taucht auf 2.480 Metern das Tauernkreuz auf; dahinter die St. Pöltner Hütte. Mittagspause. – Hineinschlüpfen, umziehen, aufwärmen, etwas essen und trinken. Ganz entspannt. Später, beim Blick in die gemütlichen Zimmer und Lager der Alpenvereinshütte ist klar, dass ein Nachmittag dort die latent verlockendere Option ist, als jetzt wieder in die klammen Klamotten zu wechseln und von der Hütte, weiter dem alten Saumpfad folgend, zum Matreier Tauernhaus hinunterzustiefeln. Bei gutem Wetter würde sich dafür ein kleiner Bogen anbieten: Etwas nach Osten ausgeholt und über Grausee, Schwarzsee und Grünsee hinab ins Tal. Auf uns muss diese Variante bis zum nächsten Besuch warten.
Bleibt die Frage: Lohnt es sich, all die Stunden in Wolken und Nebel herumzutapern? – Ich meine: In jedem Fall. Denn das Faszinierende ist, alte Wege zu nutzen, die vor hunderten von Jahren wichtige Verbindungen zwischen den Tälern darstellten. Abgesehen davon entstehen ganz besondere Stimmungen und Erinnerungen, von denen sich unter blitz-blank-blauem Himmel nur träumen lässt.
Gut zu wissen:
Gehzeit vom Hintersee zum Matreier Tauernhaus etwa 6 – 7 Stunden. Hinzu kommen Pausen.
Ausgangspunkt ist der Parkplatz am Hintersee auf der Nordseite/Salzburger Seite des Felber Tauern. Von dort nicht zum See, sondern den Fahrweg links folgen; nach etwa 150m zweigt rechts ein Bergpfad ab, dem man zur St. Pöltner Hütte folgt. Auf der anderen Seite dem markierten Pfad hinab folgen, der in der Nähe des Tauernbach ins Tal führt. Endpunkt Matreier Tauernhaus.
Schwierigkeit: mittel (rot markiert). Vorsicht bei Wettereinbrüchen.
Variante: Bei gutem Wetter bietet sich der Trassensteig an. Dazu am Hintersee vorbei zur Jausenstation Gamsblick und dem Weg folgen, der kurz unter dem Plattachsee auf den „normalen“ Saumweg stößt. An der St. Pöltner Hütte statt direkt ins Tal den Weg nach Osten Richtung Weinbichl, Alter Tauern und über Grau-, Schwarz- und Grünsee und zum Matreier Haus.
Übernachten: Im Alpengasthof Matreier Tauernhaus mit 800jähriger Tradition, am Eingang zum Gschlösstal. Alternativ verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten direkt in Matrei, beispielsweise im familiär geführten Hotel Outside.
Hinkommen: Über die Felbertauernstraße, die einfache Fahrt kostet 11 Euro Maut. Mit dem PKW oder Taxi bis zum Parkplatz am Hintersee. Öffentliche Busse mit passendem Zwischenhalt gibt es nicht, was die Organisation der Überschreitung insgesamt etwas umständlich macht. Daher bietet sich das Angebot des Nationalparks an:
Geführte Wanderung mit dem Nationalpark-Ranger auf alten Saumpfaden über den Felber Tauern. Auf dem Weg ist genügend Zeit, ein wenig von dem immensen Wissen der Ranger zu profitieren und tausend Dinge zu erfragen, die man schon immer mal über den Nationalpark Hohe Tauern wissen wollte. Kondition für jeweils etwa 1.200 Höhenmeter Auf- und Abstieg mitbringen. Kosten pro Person 30 Euro; hinzu kommen die Transferkosten.
Info-Zentren: Zum Nationalpark Hohe Tauern informieren das kleine, im Sommer 2017 neu konzeptionierte Nationalparkhaus in Matrei und das große Nationalparkzentrum in Mittersill.
Für den süßen Zahn: Die Tauerngipfel aus Schokolade? Gibt’s in der Konditorei Pletzer in Mittersill. Die Geschmacksrichtung „Samer“ hat einen 72%igen Kakaoanteil mit Pfefferminz-Crunch. – Als schneller Pausensnack auf dem Saumweg genau genommen zu schade, wunderbar für die genussvolle Erinnerung danach.
Den Saumweg über den Felber Tauern habe ich auf Einladung der Felbertauernstraße AG kennengelernt.