Eine polnische Oder-Wanderung
Vielleicht ist es das Alter. Das eigene und das der Eltern. Das Alter, das einen mit Abstand zurückblicken und Fragen stellen lässt. Die Frage zum Beispiel, warum einem noch vor zehn Jahren das Tal der Liebe kein Begriff war.
Unweigerlich bringt mich diese Frage weit in die Kindheit zurück, zu verblassten Erinnerungen an eine erste Reise nach Polen Mitte der 1980er Jahre. Es sind Erinnerungen an Bigos, ein Krauteintopf, mit dem uns unsere Gastgeber in Poznan willkommen hießen. Erinnerungen an Stone Washed Jeans, die es in polnischen Kellerläden zu kaufen gab. Erinnerungen aber auch an sich streng gebende Grenzposten an der Oder, die mit Argusaugen unsere Reisedokumente prüften. Denn nachdem die polnische Gewerkschaft Solidarność erstarkt war, waren private Reisen aus der DDR auch nach Polen sehr eingeschränkt.
Dass es, wenn man von Schwedt über die Oder fährt, nur ein kurzer Spaziergang bis zu den Nieder Saathener Höhen, einem steil zum Wasser abfallenden Bergrücken, wäre, von wo man einen herrlichen Blick auf den Fluss, die Deiche und die Polder hat, konnten wir damals nur erahnen – der Höhenzug war militärisches Sperrgebiet.
Auch nach der politischen Wende 1989 schlummerten die Nieder Saathener Höhen einen Dornröschenschlaf, bis polnische Umweltschützer auf das Gelände aufmerksam wurden und gemeinsam mit vielen Helfern einen kleinen Schatz hoben:
Im Gutshaus von Zatoń Dolna, das damals Niedersaathen hieß, lebte Anfang des 19. Jahrhunderts die Hugenottenfamilie von Humbert. Nachdem Carl Philipp von Humbert zu einer längeren Dienstreise aufbrach, nutzte seine Frau Anna von Humbert die Gunst der Stunde für eine Überraschung: Sie rief Gärtner herbei und ließ die Buchen-bewaldeten Hügel neben dem Dorf in einen Landschaftspark umwandeln. Mit Wegen, Aussichtspunkten, einem Gartenpavillon, Teichen und Gedenksteinen. Nicht nur die Besitzer, sondern auch viele Ausflügler kamen fortan gerne ins Tal der Liebe.
Seit 2010 etwa ist der Park wieder entstrüppt, verschiedene freigelegte Wege führen bergauf und bergab durch den Park, auf die Bastei und auf den Heldenberg. Vor allem letzterer ist einer der sicher besten (weil mit etwa 90 Metern einer der höchsten natürlichen) Aussichtspunkte ins Untere Odertal und hinüber nach Deutschland.
Gut zu wissen
Öffentlich hin und weg: Wer etwas weiter gehen möchte, kann direkt am Bahnhof Schwedt loswandern. Zunächst Richtung Theater durch die Stadt, dann Richtung Polder eingeschwenkt und über die Oder (einfacher Weg gut 4 km). Gleich hinter der Oderbrücke, in Krajnik Dolny, geht eine schmale, wenig frequentierte Fahrstraße, nach rechts und damit Süden ab. Dieser etwa drei Kilometer folgen. Alternativ fährt auch mehrmals täglich ein Stadtbus von Schwedt bis Krajnik Dolny.
Einkehren: Im Sommerhalbjahr gibt’s „Bei Beata“ (U Beaty) in Zatoń Dolna Kaffee und Kuchen. Bei gutem Wetter auf der Terrasse im Garten, ansonsten im Holzpavillon. Alternativ eigene Brotzeit mitnehmen – und auf einer der Picknickbänke im Tal der Liebe genießen.
Anschauen: Wer auf einer kleinen, kurzen Runde durch das Dorf auch in die Kirche schauen möchte, fragt im Café bei Beata Balbuza nach dem Schlüssel.
Literatur: Der Ausflug ins Tal der Liebe ist im Rother Wanderführer „Uckermark. Zwischen Schorfheide und Nationalpark Unteres Odertal“ beschrieben. Dass der Autor bei dieser Gelegenheit auch sechs Wanderungen östlich des Nationalparks, auf polnischer Seite, beschreibt, macht das Büchlein zu einem guten Tipp für jeden, der sich von der Uckermark aus für deutsch-polnische Grenzgänge interessiert.
Den Uckermark-Wanderführer von Gunnar Strunz hat mir der Bergverlag Rother als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.