Eine Wanderung auf dem Kammweg
»Der Blick auf das Riesengebirge gehört zu den hundert schönsten Blicken der Welt«, notierte Alexander von Humboldt Ende des 18. Jahrhunderts. Bald ließen Gemälde, allen voran die von Caspar David Friedrich, das kleine Mittelgebirge zum wohl ersten Sehnsuchtsziel hierzulande werden. Vor allem die gesellschaftliche Elite Preußens aus Berlin kam, um im Hirschberger Tal die Sommerfrische zu genießen. Immer mehr Menschen folgten, wollten nun auch in die Berge. Auf der Schneekoppe, dem höchsten Gipfel weit und breit, gab es so schon Ende des 19. Jahrhunderts eine erste Herberge für bis zu 300 Gäste. Und weil auch alle daheim von den Ausflügen wissen sollten, begann man, Postkarten zu schicken. Der Inhaber der beiden am Gipfel befindlichen Schutzhütten, in hiesigen Breiten Bauden genannt, hatte die Idee, auf der Schneekoppe eine Poststelle zu eröffnen. Denn wer auf dem Berg abgestempelte Post erhielte, so seine Überlegung, würde sicher selbst mal dorthin wollen.

Am 22. Mai 1872 stieg das erste Mal der Koppenbriefträger zum Gipfel. Immer nachmittags kam er die 1000 Höhenmeter hinauf, half nach den Betriebszeiten des Postamtes mit dem Abstempeln der Karten in der Preußischen Baude. Am nächsten Morgen stieg er mit den Sendungen ins Tal hinab. Sieben Jahre später folgte auch in der Böhmischen Baude eine Poststelle; dort zierte indes das runde Postsignet der Habsburgermonarchie die Karten.
Heute steht am Gipfel ein moderner Holz-Glas-Stahl-Bau mit einem kleinen Imbisskiosk und einer Poststelle. Und so kauft man zwischen Limonade und Erbsensuppe Postkarten samt Wertmarken, auf die man selbst den Schneekoppe-Stempel drücken und sie dann in den Briefkasten der tschechischen Post stecken darf.

Drei Tage im Herbst
Auch ich schob am dritten und letzten Tag unserer Wanderung eine Postkarte durch den schmalen Schlitz dieses Briefkastens, der auf 1.603 Metern Höhe auf der Schneekoppe angebracht ist. Die Śnieżka, wie sie im Polnischen heißt, ist als Sněžka auch Ziel vieler, die von südlicher und damit tschechischer Seite auf den Gipfel kommen.
Start im Isergebirge
Wir waren im Isergebirge gestartet und immer nach Osten dem Kammweg entlang der tschechisch-polnischen Grenze gefolgt. Still der erste Tag, an dem wir höchsten eine Handvoll Menschen unterwegs trafen und an dessen abendlichen Ende wir die einzigen Gäste in der Stacja Turystyczna Orle, der Adlerbaude. Die Hütte blickt auf das zurück, was gemeinhin als wechselvolle Geschichte gelten dürfte: weil reichlich Quarze und Wasser vorkamen, ging hier im 18. Jahrhundert eine Glashütte in Betrieb und für etwa 150 Jahre wurde an dieser Stelle Glas geblasen. Im 20. Jahrhundert kamen ein Zoll- und ein Grenzschutzhaus dazu, nach der Annektierung der Sudeten wurden sie bald von der Forstverwaltung, dann als Lazarett für Wehrmachtssoldaten genutzt; später zog die russische, dann die polnische Armee ein, zuletzt der Grenzschutz des Landes. Heute indes weist auf jedwede Grenze nur noch wenig hin.






Im Nationalpark Riesengebirge
Am zweiten Tag gehen wir nach Osten weiter, erreichen am Neuweltpass die Siedlung Jakuszyce und wechseln damit vom Iser- ins Riesengebirge. Über lange Strecken schlängeln wir uns nun direkt auf dem Grenzkamm entlang; mal mit dem rechten Fuß ein bisschen weiter in Tschechien, dann wieder mit dem linken in Polen.
Wir kommen aus dem Wald heraus und durchqueren weite Torfmoorhänge. An einem von ihnen entspringt auch die Elbe. Die Petersbaude (Petrova Bouda) wählen wir für die Übernachtung aus; zum Abendessen machen wir einen kleinen Spaziergang hinüber zur Mährischen Baude (Moravská Bauda). Statt polnischer Kost dieses Mal tschechische Küche.



… und hinein in den Nationalpark Riesengebirge.
Am nächsten Morgen heißt es erst einmal einige Höhenmeter verlieren. Wir gehen hinab zur Spindlerbaude (Špindlerova bouda). Früher ebenfalls eine einfache Berghütte, die am niedrigsten Passübergang des Riesengebirgshauptkamms stand, ist es heute ein Hotel, das die kleinen und größeren Annehmlichkeiten eines Vier-Sterne-Hauses offeriert. Auf der großen asphaltierten Parkfläche davor reihen sich viele ein, die wir wir den strahlenden Herbsttag in den Bergen nutzen wollen.
An der Schneekoppe
Richtig rund geht es dann etwa zweieinhalb Stunden und acht Kilometer weiter, am Schlesierhaus (Dom Śląski), denn mit der Seilbahn von Karpacz ist dies die einfachste Aufstiegsroute auf die Schneekoppe, die sich von polnischer Seite bietet; nur die finalen 200 Höhenmeter bewältigt man auf diese Weise aus eigener Kraft. Die schmale Diretissima zum Gipfel ist als Einbahnweg geregelt, hinunter geht es auf dem Fahrsträßlein, das sich um den Nordhang schlängelt.
Von tschechischer Seite führt eine Seilbahn direkt auf die Schneekoppe. Oben angekommen, suchen wir uns ein windgeschütztes Plätzchen etwas abseits, kramen ein paar Snacks und etwas zu trinken aus unseren Rucksäcken, schauen dem Treiben auf dem Gipfel zu. Wir kaufen eine Karte, borgen uns einen Bleistift, um einen kleinen Gruß zu schreiben. Schneekoppe-Stempel drauf … und ab die Post!, bevor wir selbst nach Karpacz absteigen.
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






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


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

Weitere Informationen
Will man den gesamten Kammweg abwandern, hat man gut zu tun: Der historische Fernwanderweg wurde 1904 eröffnet und galt im deutschsprachigen Raum mit mehr als 800 Kilometern als der längster seiner Zeit. Der Weg führte über weite Teile entlang des Gebirgskamms, der Böhmen umschließt – vom Elstergebirge (wo Böhmen, Bayern und Sachsen Grenzen bilden), über das Erzgebirge, die Böhmische Schweiz, das Lausitzer Gebirge und das Jeschkengebirge, weiter durchs Iser- und Riesengebirge zum Glatzer Schneegebirge und zum Altvatergebirge. Als Kammweg ausgewiesen ist aktuell nur ein Teil.