Ein Bergdorf und sein malerischer Winkel
Vor dem Gasthof Oberwirt in Ramsau sitzt eine Gruppe Menschen so glücklich in der Sonne, wie sonst wohl nur vor dem Tambosi am Münchner Odeonsplatz. Einzig: Spätbarocke Theatinerkirche der Landeshauptstadt hin oder her. – Der Blick hier in Ramsau ist noch schöner. Im Rücken die Wirtshauswand und die von ihr reflektierte Wärme. Blick nach links – im Hintergrund der Hohe Göll. Blick nach rechts – ganz nah die Reiter Alpe. Geradeaus, nur ein paar Schritte weiter, geht’s in den Nationalpark Berchtesgadener Alpen.
Ich laufe durch den kleinen Ort. Obwohl mitten am Tage, riecht es aus einem der Kamine intensiv nach Holzfeuer. Es ist Ende Februar, die Holzstapel entlang der Hauswände so zum Ende des Winters sichtbar klein geworden.
Allzu lange brauche ich nicht, um den alten Ortskern abzulaufen. Ich entdecke einige Gasthöfe, einen Geldautomaten, ein Café. Dazu ein paar Läden: Verkauft werden Schuhe, Sportartikel, Lebensmittel. Im Schaufenster des kleinen Lebensmittelladens aufgereiht das wohl vollständige Sortiment der Enzianbrennerei Grassl.
Selbst, wer meint, Ramsau nicht zu kennen, hat das bekannteste Motiv der knapp-2.000-Seelen Gemeinde wahrscheinlich irgendwann schon einmal gesehen: Eine barocke Kirche, welche die Bergwand hinter sich fast herauszufordern scheint: Wer ist die Schönere im Berchtesgadener Land? Zusammen mit dem kleinen Bach und einer Holzbrücke ist’s kitschig. Wunderbar kitschig. Und schönstes Motiv der Ramsauer Webcam.
Der Blick, den heute also dank Webcam weltweit jeder erhaschen kann, ist als Malerwinkel bekannt. Im 19. Jahrhundert war Ramsau ein beliebtes Ziel von Landschaftsmalern, viele von ihnen aus München und aus Wien. Sie waren die frühen (Ver-)Mittler zwischen städtischem und ländlichem Leben. Nicht zuletzt aufgrund der Bilder dieser Maler wollten immer mehr Städter das Landleben genießen. Der Tourismus setzte ein. Nicht überhastet, ganz langsam.
Genau diese langsame Entwicklung dürfte Ramsau nun zugute kommen. Denn als erste deutsche Gemeinde soll Ramsau in den Reigen der Bergsteigerdörfer aufgenommen werden. (Update: Seit dem 16. September 2015 ist Ramsau offiziell Bergsteigerdorf.) In der Initiative des Österreichischen Alpenvereins sind bisher 20 Orte und Regionen organisiert. Das größte Pfund, mit dem sie Touristen locken können, ist eine damals wie heute gesund gewachsene Infrastruktur. In einer intakten Umgebung.
Auch in Ramsau gibt es kaum ein größeres Hotel. Wer hier Urlaub macht, wohnt meist in einer Pension oder Ferienwohnung, auf dem Bauernhof oder in einem Gasthaus.
Große Bespaßungs-Attraktionen jedweder Couleur fehlen, ebenso wie riesige Liftanlagen. Alle Zeichen stehen auf „Natur“. Einmal hier angekommen, kann man – ohne noch mal groß ins Auto zu steigen – unzähligen Wegen folgen. Zu Fuß, mit dem Rad, auf Ski. Hinein in die Täler, hinauf auf die Berge. Das jedenfalls versprechen viele Wegweiser. Und wer’s dann doch mal etwas geschäftiger möchte, macht eben einen Ausflug ein paar Kilometer weiter, nach Berchtesgaden.
Mein Weg führt mich an diesem Spätwinter-Nachmittag zunächst nur noch zum Gasthof Oberwirt. Die Sonnen-beglückten Menschen sind inzwischen zur Kirche hinübergewechselt. Als Statisten für einen ARD-Film, für den dort gerade ein paar Szenen gedreht werden.
Perfekt, denn so kann nun auch ich in der Sonne einen Cappuccino trinken. Und ein Foto aus dem Ort auf Instagram laden. Denn eines sind „Bergsteigerdörfer“ bei aller Beschaulichkeit definitiv nicht: „hinterwäldlerisch“. Die Netzabdeckung ist jedenfalls top.
Tipp
Wer mehr über die (zunächst noch: österreichischen) Bergsteigerdörfer erfahren möchte, kann die 158-seitige Broschüre „Kleine und feine Bergsteigerdörfer zum Genießen und Verweilen“ bestellen. Kostenlos beim Österreichischen Alpenverein erhältlich, einfach per E-Mail bei christina.schwann@alpenverein.at anfragen. Alternativ gibt’s die Infos im Internet auf Deutsch und Englisch.
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