Auf dem West Highland Way
Hier wär ich ja gerne mal bei schlechtem Wetter“, höre ich mich sagen. „Bei Nebel. Im November oder so.“ – Eigentlich ist’s verrückt: Wir haben in diesen Maitagen so was wie das große Los gezogen. Dürfen Schottland bei Sonne erleben. Und wonach schiele ich? Regen, Kälte, graues Gewaber.
Ich versuche zu ergründen, woher dieser Wunsch kommt. Ich würde gerne verstehen, womit diese Bilder in meinem Kopf zu tun haben. Wahrscheinlich mit einer „Der Hund von Baskerville“-Verfilmung, die ich in der Kindheit gesehen habe. – Diese Sherlock-Holmes-Geschichte kennt wahrscheinlich jeder, zumindest vom Namen. Ich habe keine Erinnerung an den detaillierten Plot, nur an einzelne Szenen: Das bestialischen Heulen eines Hunds. Das schmatzende Geräusch des Moors, als ein Mann darin versinkt. Und natürlich Nebel. Viel Nebel.
Stattdessen hier und heute im Rannoch Moor: Sonne. Viel Sonne. Über einer scheinbar endlosen, hellbraun-monochromen Landschaft.
Wir sind auf dem West Highland Way unterwegs. Tag vier von sieben. Das erste Mal während unserer Tour auf dem beliebten schottischen Fernwanderweg fühle ich mich ganz weit weg von allem. Die einzige Zivilisation sind ein paar Häuser und ein Hotel an der Bridge of Orchy, die wir ein paar Stunden vorher hinter uns gelassen haben. Etwas später war da noch das Inveroran-Hotel, fast am Ende einer einspurigen Stichstraße.
Und nun erst mal für lange 15 Kilometer: Nichts mehr. Außer das Rannoch Moor, an dessen südwestlichem Rand wir uns bewegen. Heidekraut, das auf Abermillionen kleinen Erd- und Grashügelchen thront. Dazwischen immer wieder Wasser – Morast und Wasserläufe, Sümpfe und Seen.
Anders als ich dachte, ist das Moor nun mal so wirklich gar nicht flach: Umgeben von bis zu tausend Meter hohen Bergen, die noch immer deutliche Schneereste tragen. Und auch zwischendrin erheben sich immer wieder Hügel, Kuppen und Bergrücken.
Wir folgen einer alten Militärstraße. In der Sonne, bei gutem Wetter ist unsere Etappe durch das Moor kaum mehr als ein Spaziergang. Aber wehe, wenn hier schlechtes Wetter aufzieht. – Es lässt sich einigermaßen leicht ausmalen, wie unangenehm es im Rannoch Moor werden kann. So ganz ohne Unterstand- und Schutzmöglichkeit.
Am Ende der Wanderung auf dem West Highland Way weiß ich: Das Rannoch Moor mit dem Loch Tulla ist mein absoluter Liebslings-Spot entlang des Wegs. Und weil’s so außergewöhnlich und faszinierend war, fahren wir gleich im Anschluss an die Wanderwoche noch mal mit dem Auto dorthin und lauschen in die Ruhe hinein.
Vor dem Inveroran-Hotel dann genießen wir bei kuscheligen 25 Grad+ tiefenentspannt eine Flasche Bulmers Cider. Währenddessen beratschlagen an den Nachbartischen mehrere Grüppchen West-Highland-Ways-Wanderer, ob und wie weit sie heute noch weiterlaufen. Die Gespräche, denen ich still lausche, verwirren mich. Denn schließlich haben wir selbst hier erst vier Tage zuvor gesessen. Alles kommt mir bekannt vor. Und doch ist’s seltsam weit weg. Fast, als wäre das eine Fernseh-Live-Übertragung, deren Ausgang ich bereits kenne. Ich schmunzle in mich hinein, atme tief ein und aus.
Nein, ich beneide die Wanderer gerade gar nicht, bei der Hitze noch weiter zu müssen. In der gleißenden Sonne denke ich wieder an wabernden Nebel und kriechende Kälte. Und ich weiß: Ich komme wieder, liebes Rannoch Moor. Und unbedingt mal im Winter!
Gut zu wissen:
Das Moor
Das Rannoch Moor ist ein etwa 130 qkm großes und so gut wie unbewohntes Plateau. Einzig die durchaus betriebsame Straße A82 sowie die Eisenbahnstrecke der West Highland Line sind nennenswerte Infrastruktur in diesem Gebiet. Die besondere Stimmung, die vom Moor ausgeht, ist sicher auch der Tatsache geschuldet, dass die Gegend vom Menschen absolut gar nicht genutzt werden kann. Keine Landwirtschaft. Kein einziges Schaf. Nix, nada, niente.
Der Hund von Baskerville spielt übrigens nicht im Rannoch Moor in Schottland, sondern im Dartmoor in England. Auch beruhigend: „verschmatzen“ kann das Moor einen Menschen nicht so ohne weiteres. Dass man im Moor sanglos und klangvoll untergeht, dagegen spricht die Physik, wie du hier nachlesen kannst.
Schönster Aussichtspunkt auf dem West Highland Way ins Rannoch Moor: Der Mam Carraigh, eine kleine Bergkuppe zwischen Bridge of Orchy und Inveroran Hotel. Zumindest bei gutem Wetter am besten dort oben eine Pause einplanen. Und genießen.
Der West Highland Way
Verlauf: Schottlands bekanntester Weitwanderweg führt auf 154 Kilometern von Milngavie, einem Vorort im Norden von Glasgow, nach Fort William, das als perfekte Ausgangsbasis dient,um auch den höchsten Berg Großbritannien, den Ben Nevis, zu besteigen. Die meisten Wanderer teilen sich die Strecke auf sieben Etappen auf.
Literatur zum West Highland Way: Es gibt eine ganze Reihe englischsprachiger Führer. Der einzige deutschsprachige Wanderführer stammt aus dem Conrad-Stein-(Outdoor)-Verlag („Schottland. West Highland Way“ von Hartmut Engel, 192 Seiten). Persönlich empfinde ich die gesamte optische Aufmachung sowie Übersichtlichkeit der Streckeninformation und der einzelnen Abschnitte, kurzum: die Handhabung des Buches, als mäßig. De facto sind aber die relevanten Infos im Buch zu finden. Unbedingt darauf achten, die aktuellste Ausgabe dabei zu haben. Vor allem bei den Unterkünften scheint sich immer wieder mal was zu ändern.
Charakteristik: Grundsätzlich technisch einfacher Weg, der sehr gut auch für Wander-Neulinge geeignet ist. Einzig ein kurzer Ufer-Abschnitt am Loch Lomond gilt vielen als Herausforderung. Bei schlechtem Wetter (harscher Wind, Regen …) ansonsten vor allem noch die Devils Staircase, die bis auf etwa 540m führt. Dank der sehr guten Ausschilderung ist das Abkommen vom Weg an und für sich unmöglich.
Bekanntheit: Der West Highland Way gilt als der beliebteste Fernwanderweg in Schottland. Die Zahlen schwanken, aber ca. 30.000 bis 50.000 Wanderer bewegen sich wohl jedes Jahr auf dem Weg. Entweder der ganzen Länge nach oder auf Teilabschnitten. Entsprechend ist man selten wirklich allein.
Beste Wanderzeit: Mai und Juni. – Das sind die mit Abstand trockensten Monate in Schottland. Außerdem hat man (weitestgehend) Ruhe vor Midges, den kleinen schottischen Stechmücken. Gleichzeitig sind Mai und Juni Hauptwandermonate, also bei Bedarf besser frühzeitig ans Buchen der Unterkünfte denken.
Unterkunft: Einen Tag lang Wind und Regen die Stirn bieten, im Bed & Breakfast ankommen, sich unter der heißen Dusche aufwärmen, ein Nachmittagsschläfchen halten … und dann, vielleicht sogar im Bett, English Tea & Shortbread genießen. – Wohl genau wegen solcher Erinnerungen halte ich die Unterkunft in familiär geführten B&Bs für eine wunderbare Möglichkeit, durch Schottland zu reisen. Und, eh klar: Die Gastgeber sind eine besonders sichere Quelle für allerlei Infos zu Land und Leuten.
Alternativ lässt sich auch in Inns und Hotels übernachten. Jugendherbergen und einfache feste Unterkünfte auf Zeltplätzen runden das Angebot ab. Wer nachts ein festes Dach über dem Kopf haben möchte: An einigen Etappenzielen gibt es nur wenige Häuser, so dass auch die Bettenzahl äußerst beschränkt ist. Da heißt es, die Unterkünfte frühzeitig planen. Oder kurzfristig Glück haben. Alternativ nimmt man das eigene Zelt mit.
Wie sieht’s aus – Ist der West Highland Way zu empfehlen?
An dieser Stelle muss ich etwas differenzieren: Schottland ist wunderschön. Und auf dem West Highland Way lernt man eine große Bandbreite der schottischen Landschaft kennen. ABER … ganz eindeutig würde ich sagen: Die Wanderung ist weit entfernt davon „einsam“ zu sein. Zum einen allein schon wegen der zahlreichen Wanderer. Zum anderen bewegt man sich über mehrere Tage in Hör- und/oder Sichtweite der Straße A82, die die Hauptverbindung zwischen Glasgow und Fort William ist. Das muss man mögen. Der Abschnitt durchs Rannoch-Moor ist einer der wenigen, auf denen man die Straße wirklich hinter bzw. weit weg neben sich lässt.
Vor allem die gute Infrastruktur und die vielen bequemen Unterkunftsmöglichkeiten sprechen dafür, dass man sich als auf Komfort bedachter Wander-Neuling auf den West Highland Way begibt. Mag man herbe Landschaften, kann aber gleichzeitig Komfort-Abstriche machen und hat’s lieber einen ganzen Ticken ursprünglicher, weiter weg etc., dann würde ich eher – auch für Wander-Novizen – Alternativen empfehlen: Beispielsweise den Kungsleden in Schwedens Norden.
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