Über das Fotografieren am Berg
Und jetzt noch ein Gipfelfoto! – Keiner da, der das schießen kann? Macht nichts. Selbst ist der Gipfel-Foto-Stürmer!
Auch auf jedem noch so einsam gelegenen Berg spüren wir den technischen Wandel. Wo heute jeder (okay: fast jeder) ein Smartphone dabei hat, waren es vor zehn Jahren handliche Kompakt- oder unhandliche Spiegelreflexkameras. Dabei war’s zu Anfängen der Fotografie noch aufwändiger: Tatsächlich schleppten schon seit den 1860er Jahren Fotografen ihre Ausrüstung in die Berge. „Für die erste Fotoexpedition auf den Mont Blanc wurden zwei Dutzend Träger engagiert, und auf dem Gipfel musste man ein behelfsmäßiges Labor einrichten, um die verwendeten Nassplatten sofort zu entwickeln“, schreibt Jon Mathieu in seinem jüngst erschienenen Buch „Die Alpen“.
Selbstbildnis. Wahlweise: Am Berg. Oder mit Berg
Ganz früher wäre ja niemand auf die Idee gekommen, aus Gründen irgendeiner wissenschaftlichen oder sportlichen Leistung oder gar wegen der reinen Kontemplation auf einen Gipfel zu steigen. Denn lange galten die Berge vor allem als eins: als abweisend, bedrohlich und gefährlich.
Wenn, dann postierte man sich vor dem Berg. Albrecht Dürer zum Beispiel. Beim Betrachten von seinem berühmten „Selbstbildnis mit Landschaft“ verfangen sich meine Augen jedes Mal ganz automatisch in dem Blick aus dem Fenster auf eine ((Vor-)Alpen-)Landschaft.
Als sicher gilt, dass Dürer eine Landschaft gemalt hat, die er auf seiner Reise von Nürnberg nach Venedig gesehen hat. Es könnte der Blick das Inntal hinauf sein, sagen Experten. Und so wundert es nicht, dass Telfs den Dürer-Blick touristisch anpreist. Ein Fünf-Sterne-Haus, das 2014 oberhalb von Telfs eröffnet wurde, wirbt auf seiner Website gar mit dem Dürerblick-Zimmer.
Ich hätte es ja gerne geschossen, das „Dürerblick-Zimmer-Selfie mit Landschaft“. Doch das ist (zumindest vorübergehend?) nicht mehr möglich. Denn weder Dürer noch Blick haben geholfen. – Das Hotel hat nach nur einem Jahr wegen zu hoher Baukosten Insolvenz angemeldet und ist geschlossen. Schade.
Gipfel + Foto = Gipfelfoto
Spätestens, seitdem Kameras nicht mehr ganze Monatsgehälter kosten, gehören „Gipfel“ und „Foto“ für uns fest zusammen. Denn das Gipfelfoto zeigt das „Ich“ und das „Hier“. Das „Ich war hier“. Mal liegt die Betonung mehr auf dem „Ich“, mal mehr auf dem „Hier“. Wir zeigen, dass wir wirklich dort waren, oben auf dem Gipfel. Glücklich. Geschafft. Bei strahlendem Sonnenschein. Im feinsten Pulverschnee. Mit Kletterausrüstung. Oder ohne. Für uns bedeutet das für einen Moment vielleicht alles. Für den Rest der Welt ist unser Gipfelselfie indes ziemlich unerheblich, solange es um Sonntagsgipfel wie den Herzogstand oder die Zugspitze geht.
Glauben oder beweisen
Anders verhält sich das schon, wenn Profi-Bergsteiger verkünden, dass sie eine besonders außergewöhnliche Leistung am Berg vollbracht haben. Da braucht’s schon Belege. Ein Foto, einen Schnappschuss, ein Selfie.
Die wohl bekanntesten Beispiele der letzten Jahre: Der Schweizer Ueli Steck. Und die Koreanerin Oh Eun Sun. In beiden Fällen geht es dabei, wie es Andi Dick im Alpenvereinsmagazin Panorama treffend ausdrückte, um „glauben oder beweisen“. Obwohl – so einfach ist die Sache dann auch nicht:
Im Herbst 2013 hatte Ueli Steck mit seiner Solo-Erstbegehung an der Annapurna großes Aufsehen erregt. Vor allem, weil er seinen Gipfelerfolg an diesem Achttausender nicht belegen konnte. Die Kamera war ihm im Aufstieg abhanden gekommen. Wichtige Fürsprecher in der Szene signalisierten aber: Wir glauben’s – trotz fehlendem Foto.
Im Falle von Oh Eun Sun sah das diametral anders aus. Sie hatte 2009 zwar ein Foto veröffentlicht, das sie an einem anderen der vierzehn Achttausender, dem Kangchendzönga, zeigen soll. Darauf eine Person mit Skibrille. Irgendwo am Berg, im Schneetreiben. In der Fachwelt wird seither angezweifelt, dass das Foto tatsächlich am Gipfel entstanden sei und die Koreanerin damit noch vor der Spanierin Edurne Pasaban die erste Frau gewesen sei, die alle Achttausender bestiegen hat. Trotz „Beweis“ also kein Glaube.
Anker der Erinnerung
In den Tälern des Wochenend-Bergtourismus mache ich dann oberhalb von Telfs doch noch ein Selfie mit Landschaft. Welche Bedeutung dieses Foto für mich hat? Vielleicht lässt sich das am ehesten mit einer Erklärung von Frank Patalong beschreiben, der neulich auf Spiegel online meinte, solch ein Foto „ist ein Anker der Erinnerung“.
Auch der Spiegel-Redakteur hat sich also mit Selfies beschäftigt – das scheint ja eh gerade groß in Mode zu sein. Was er bemerkt: „Worauf ich vergeblich warten werde, ist ein Selfie anderer Art. Ein junges Gesicht, das beeindruckt auf Berg oder Brandung sieht, träumerisch in die Weite, gerührt, geängstigt oder versonnen. Es wäre zwangsläufig ein Bild, auf dem man einen Hinterkopf sähe …“
Da kennt Herr Patalong wohl die Instagram-Accounts der meisten Outdoor-Blogger nicht. Das sind ja mitunter introvertierte Wesen. Oft ist auf deren Selfies nur der Hinterkopf zu sehen – warmgehalten von einer selbstgestrickten Mütze. Oder zusammen mit einer knallbunten Jacke. Wegen des tollen Farbkontrasts.
Nun ja, davon mal abgesehen fotografiert und zeigt das Gros der ganzen Berg-Blogger und der anderen Bergnarrischen aber schon immer das am liebsten, was nun der neue Foto-Trend werden könnte: das „Non-Selfie“ – Landschaft in Reinform.
Lesetipp: „Gemälden hinterherfahren“? – Das macht, am anderen Ende der Republik, auch Elke hin und wieder mal. Für ihren wunderbaren Meerblog hat sie den Hülltoft Hof gesucht. Und gefunden.
Dieser Artikel ist Teil der Blogparade “Ich bin hier”, initiiert von der Kunsthalle Karlsruhe. Noch bis zum 20. Dezember 2015 haben Blogger die Möglichkeit, sich über das Phänomen „Selfie“ Gedanken zu machen und mit einem eigenen Beitrag an der Blogparade teilzunehmen. In den Sozialen Medien auch unter dem Hashtag #Selfierade zu finden.
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