Eine Momentaufnahme unter mediterraner Wintersonne
Immer, wenn es im Dezember nach Barcelona geht, würde zumindest ein kleiner Teil von mir lieber in München, respektive: nah der Berge bleiben. Denn zu der Zeit, in der wir in Katalonien sind, ist hier nur zu oft das erste vernünftige Winter-Wochenende angesagt.
Dann wiederum: Die mediterrane Wintersonne ist und bleibt eine Wucht! Ich genieße diese Tage, an denen es morgens noch lange kühl ist. Bis zum frühen Nachmittag dann sind die Temperaturen nicht selten auf zweistellige Werte geklettert. Und so sitzen die Bewohner Barcelonas und ihre Gäste lange an einer der vielen Straßenecken, an denen ein Café ein paar Tische platziert hat.
Ich lasse mich treiben. Immer häufiger am liebsten in einem der nicht so zentralen Stadtviertel. Laufe. Um eine Ecke. Die Straße runter. Immer weiter. Während sich über die Altstadt und vor allem auf der Rambla, der Flaniermeile Nummer Eins der katalanischen Hauptstadt, jeden Tag aufs Neue eine nicht enden wollende Menschenmasse ergießt, geht es schon einige Meter entfernt viel ruhiger zu. Es reichen auf der einen Seite ein paar Schritte in die Nebenstraßen von El Born. Oder auf der anderen Seite in das ehemalige Problemviertel El Raval, das sich wie kaum ein anderes in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert hat. Und so lässt sich heute auch nachts ohne Probleme durch die schmalen Gassen laufen.
Meine ganz persönlichen Favoriten sind seit einiger Zeit jedoch die Viertel Les Corts und Gràcia: Es sind ihre kleinen, idyllischen Stadtplätze, welche eine besondere Atmosphäre ausmachen. Auf ihnen spielt sich das selbe, unaufgeregte Leben ab, wie eh und je: Kinder kicken den Ball vor der Kirche. Ältere Bewohner – Nachbarn vielleicht – tauschen auf der Bank Neuigkeiten aus. Auch hier ein paar Cafétische, die sich zur Mittagszeit schnell füllen.
Les Corts ist ein wichtiges Finanzviertel der Stadt; an den Rändern sind bis vor wenigen Jahren hohe, moderne Gebäude entstanden. Viele alte Häuser mussten weichen. Vorerst ist die Hyper-Modernisierung unterbrochen, nachdem 2007 die spanische Immobilienblase mit großem Kawumm geplatzt ist. In einigen Straßenzügen wurden neue, zweistöckige Wohnhäuser einigermaßen gelungen in das Bild des Viertels eingepasst. Doch sie sind teuer, für viele Bürger schier unbezahlbar.
Andere Abrissplätze, an denen wohl mal großes geplant war, wurden leer gelassen. Einzig verschönert durch eine Bank. Und Wandmalereien, die den großen Erzählern der Stadt gewidmet sind.
Auf einer schaut Mercè Rodoreda zum – so will ich meinen – Meer hinunter. Für nicht wenige gilt sie als DIE katalanische Nachkriegsautorin überhaupt. Ihr Buch La Plaça del Diamant (dt. Auf der Plaça del Diamant) spielt zu Zeiten des spanischen Bürgerkriegs. Es erzählt das sehr einfache Leben einer jungen, zunächst recht naiv wirkenden Frau, deren frühe Ehe zu einem Albtraum wird. Ihren Mann hatte sie auf einem Fest auf der Plaça del Diamant kennengelernt.
Die Plaça del Diamant liegt im Stadtteil Gràcia, direkt nördlich der Avinguda Diagonal. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war es ein eigenständiges Dorf. Die kleinen, chaotisch angeordneten Straßen ziehen viele Künstler und Studenten an. Hier ist alles etwas ruhiger als an vielen anderen Orten in der Millionenmetropole.
An den Fassaden viel häufiger und auffälliger noch als vor einigen Jahren: Die katalanische Fahne. Zeichen des vielfach erstarkten Unabhängigkeitsstrebens. Ob man sich mit der Unabhängigkeitsdebatte tatsächlich nur für weitere Finanzverhandlungen mit Madrid positionieren will, bleibt abzuwarten. Anfang Dezember wurde jedenfalls ein konkretes Datum für eine Volksabstimmung bekannt: Die Katalanen sollen am 9. November 2014 abstimmen, ob sich ihre Region von Spanien trennen soll. Die Regierung in Madrid gab bereits zu verstehen, diesen Volksentscheid verhindern zu wollen.