Zerklüftet und einsam: Die Leilachspitze
Von Rauth auf die Leilach- und Lachenspitze. Zurück durch’s Birkental. – Einheimische erlaufen sich die ganze Schönheit der Strecke durchaus an einem langen Tag. Für jeden, der einen gewissen An- und Abreiseweg hat, ist’s mit Übernachtung auf der Landsberger Hütte entspannter.
Rauth gehört zu Nesselwängle. Der Weiler liegt etwas östlich des Hauptorts, am Eingang zum Birkental. In Rauth gibt es ein paar Ferienwohnungen, eine Jausenstation. Und eine hübsche, kleine Kapelle. Für diese ist eingeladen zu spenden, wer einen der wenigen Parkplätze ein paar Meter weiter nutzt. Mehr als sieben oder acht Autos passen hier nicht hin. Viel mehr wird’s aber meist auch nicht benötigen, denn das Birkental ist eine der ruhigsten Ecken der Tannheimer Berge. Entsprechend wenig Wanderer treffen auch wir auf der allergrößten Wegstrecke. Ganz anders sieht’s da bei unserem Übernachtungsziel, der Landsberger Hütte aus.
Irgend jemand hat dem Birkental mal den Beinamen „Klein-Kanada“ verpasst. Nachdem wir das gelesen hatten, sind die Erwartungen entsprechend hoch. Doch erst mal – alles ganz normal: Aus dem Ort führt eine kleine Forststraße … zwischen Wiesen hindurch, an Stadeln vorbei, über einen kleinen Bach hinweg. Fast unmerklich geht die Forststraße in einen schmalen Weg über.
Nach etwa 30 Minuten Szenenwechsel: Eine Bank steht am Weg. In die Lehne ist fein säuberlich „DAV“ aus dem Holz geschnitzt. Ein gutes Stück weiter unten rauscht der Weißenbach. Mit dem Steig müssen wir einen Bogen nach rechts – rund um das kleine seitliche Grottental auslaufen, denn dort hat ein kleiner Seitenbach im Laufe der Jahrmillionen eindrucksvoll in den Fels gegraben. Bis kurz vor die Höflishütte bleiben wir im Birkental, das weiter absolut einsam und nun auch romantisch daherkommt.
An der Höflishütte geht’s nach links weg, zunächst recht steil, so dass wir gut Höhenmeter gewinnen. Der weitere Weg entpuppt sich als sehr angenehm zu laufen. Es geht mal lange, recht flache Strecken durch den Wald – vorbei an unzähligen Ameisenhaufen. Dann etwas steiniger an ersten Latschen vorbei. Noch mal in eine große Weidefläche des Weißenbacher Notländerkars.
Konnten wir bis hierher schon immer wieder mal Blicke auf unser Gipfelziel erhaschen, steht es nun in all seiner Pracht vor uns. Unten, aus den Wiesen betrachtet, sieht die Felsformation wie ein Amphitheater aus und lässt mich unwillkürlich an die gleichnamige – ebenfalls wunderschöne – Wandergegend in Südafrika denken.
Nun also der erste Felskontakt. Durch eine Rinne geht’s hoch. Der Stein ist feinsplittrig und unangenehm scharfkantig. So recht anfassen möchte ich hier nichts. Ist auch nicht wirklich notwendig, außer, um hier und da mal das Gleichgewicht zu halten. So erreichen wir nach etwa 20 Minuten den Nordgrat der Leilach. Wir genießen die neuen Blicke, die sich auftun, bevor es weiter den Grat hinauf geht. Nicht außerordentlich schwierig, aber recht brüchig. Kurz unterhalb des Gipfelkreuzes gibt es eine kleine Rinne, in der dann doch ein, zwei Mal etwas fester zugefasst werden muss. Und dann …
Welch Gipfelschau! Die Pause fällt entsprechend ausgiebig aus: Nach Norden die „alten Bekannten“ Kellenspitze, Rote Flüh & Co. Nach Südwesten der Hochvogel. Auch sonst ein weites Gipfelmeer. Das Gipfelkreuz selbst ist ebenfalls ein Hingucker. Ein Holzkreuz kann jeder. Hier oben hat die Alpenvereinssektion Dillingen 1930 ein schlichtes, aber eben doch sehr prägnantes Metallkreuz hingesetzt.
Brösel lass nach: Auf der anderen Seite des Gipfels geht es in eine zumindest unangenehme Rinne hinein. Zusammenbleiben oder größere Abstände? – Wir sind zu dritt unterwegs und entscheiden uns mal so, mal so. Immer mit dem Ziel, dass wir nie direkt untereinander laufen. Denn man kann sich noch so vorsichtig bewegen – irgendein Stein löst sich garantiert aus all dem Bröselschutt und poltert ein Stück hinunter. Feinster Hauptdolomit eben.
Schuttflächen und Rinnen hier, bizarr geformte Felswände dort. – Der Weg führt weiter uns an den Krottenköpfen hinüber. An einer Verzweigung können wir uns entscheiden: Noch hinauf zur Lachenspitze oder direkt zur Hütte? Die Entscheidung fällt leicht, denn für einen weiteren Gipfel haben wir am nächsten Tag auch noch Zeit …
Es geht doch nichts über ein unverhofftes Hütten-Upgrade vom Lager zum Zimmer. Vor allem, wenn die Hütte krachend voll ist und alle Vorzeichen auf eine schmale Matratze gestanden hatten. Zu fünft im Zimmer und nur selten ein kurzes Schnarchen irgendwo zwei, drei Meter entfernt – nahezu perfekte Verhältnisse für eine Hüttennacht.
Entsprechend ausgeruht geht es am nächsten Morgen nach einem Frühstück auf der sonnengetränkten Terrasse hinauf zur Lachenspitze. Die Zeitangaben an der Hütte sind üppig; der Anstieg ist deutlich kürzer als auf dem Wegweiser angegeben. Während in der steilen Nordwand der Lachenspitze vor einigen Jahren ein Klettersteig (C/D) eingerichtet wurde, geht es durch den Kessel und von Süden hinauf nahezu mühelos. Für den Abstieg folgen wir der Markierung Richtung Nord-Ost. Am Grat entlang müssen wir ein paar Mal kurz zupacken, bevor der Pfad ganz gemächlich wieder auf dem Sattel zwischen Leilach- und Steinkarspitze ausläuft.
Von dort dreht der Weg nach Osten ab – viele Höhenmeter verlierend, viele Kilometer Fuß vor Fuß setzend Richtung Rauth. Das Birkental laufen wir so in seiner ganzen Länge aus. Und ja, „Klein-Kanada“ entdecken auch wir an der einen oder anderen Stelle.
Drei Tipps:
Nutze lange Sommertage: Eine Selbstverständlichkeit für jeden, der die Tour an einem Tag laufen möchte. Selbst, wenn Du die Tour, so wie wir auf zwei Tage aufteilst, schadet es nicht, am ersten Tag ein paar Zeitreserven zu haben. Die reine Gehzeit von Rauth über die Leilachspitze zur Landsberger Hütte beträgt sechs bis sieben Stunden (der Schlenker über die Lachenspitze kommt noch hinzu) und es gibt wirklich viele Orte, an denen sich eine Pause zum ausgiebigen Gucken lohnt.
Laufe die Tour im Uhrzeigersinn. Das macht vor allem aus zwei Gründen Sinn: Der anstrengendere Teil der Tour ist so am Anfang zu bewältigen. Außerdem geht es in der langen Schutt-Rinne vor dem Gipfel garantiert leichter nach unten als nach oben.
Nimm ausreichend Wasser mit: Die Tour ist lang. Zwar fließen auf dem Weg einige kleine Bäche in den Weißenbach. Doch es sind eben auch hier und da Schafe auf der Weide, so dass nicht zwingend mit Trinkwasserqualität zu rechnen ist. Zwischen Leilachspitze und Hütte wirst Du kein Wasser finden. Auch aus dem Wasserhahn gibts „Kein Trinkwasser“. – Auf der Hütte wird zwar Quellwasser genutzt, allerdings muss dieses zunächst abgekocht werden. Heißt: „Auf Nummer Sicher“ gehst Du, wenn Du das Wasser in Flaschen kaufst. Der Preis fürs Wasser, ebenso wie für alle anderen Getränke und Speisen, bewegt sich eher am oberen DAV-Hütten-Niveau.