Schlittschuh, lauf! auf dem Weissensee
Fast hätte ich es verpasst, auf dem Weissensee mit den Schlittschuhen eine große Runde zu drehen.
Denn Superlative überlese ich geflissentlich. In der Touristik gibt es ja immer wieder diese Anwandlungen, Gäste mit dem größten Dies und dem schnellsten Jenen zu locken. Nur, damit im nächsten Jahr alles von einer anderen Region übertrumpft wird. So weit, so ermüdend. Und, genau: Allzu oft überlesenswert.
„Die größte Natureisfläche Europas“ also, der Weissensee in Kärnten. – Wahrgenommen, aber dann doch wieder aus den Augen verloren. Zufällig und glücklicherweise bin ich aber kurz vor einem Kurzurlaub in Kärnten mit der Pistenexpertin des Spiegel online, Johanna Stöckl, auf den Weissensee zu sprechen gekommen.
Ihr „Es lohnt sich wirklich“ im Ohr arbeiten wir uns wenige Tage später mit dem Auto die frühlingshaft warmen Gailtaler Alpen empor. Auf gut 900 Metern Höhe passieren wir ein Schild „Naturpark Weissensee„. Was ich dann sehe, lässt mich erst mal sprachlos: Auf dem zugefrorenen See tummeln sich hunderte – oder tausende? – Menschen. Schnell ist klar, wohin es am nächsten Tag gehen würde:
Aufs Eis!
Der See sei so komplett zugefroren, wie seit Jahren nicht mehr, erfahre ich, als ich meine fünf Euro Benutzungsgebühr in dem kleinen Kassenhäuschen am Westufer des Sees bezahle.
Meine letzten ausgiebigen Nachmittage auf dem Eis lagen in fernen Kindheitstagen. Erst vor Kurzem hatte ich mir wieder Schlittschuhe zugelegt; erst vor wenigen Tagen ein paar kleine Aufwärm-Runden in München gedreht. Und hier nun liegt ein See vor mir, der so lang ist, dass ich sein anderes Ende nicht mal erahnen kann.
Ich mache einige zaghafte, kurze Schritte. Gleite ein wenig. Höre andere Schlittschuhläufer von hinten heransurren. Sehe sie an mir vorbeiflitzen. Ich bleibe stehen. Mache Fotos. Weiter geht’s: links, rechts, links, rechts. Schon bald fühle ich mich deutlich sicherer auf den Stahlkufen. Ich fange an meine Schritte zu zählen. Komme irgendwann auf 54, ohne Pause. Immerhin! Fernab wirklicher Grazie werden meine Bewegungen mit der Zeit zumindest eines: Etwas regelmäßiger.
Ich fühle mich wohl. Ich atme die frische, klare Luft tief ein. Ich laufe, ich gleite. Ich laufe weiter. Und weiter. Und weiter.
Wie viele Kilometer das denn jetzt gewesen seien, frage ich eine gute Weile später am Ostufer. Ob ich denn die zusätzlichen Schleifen mitgefahren sei, ist die Gegenfrage. Nein, bin ich nicht. Dann seien es 12,5 Kilometer eine Richtung, meint der Kassenwart, der sich als Naturpark-Ranger Robert vorstellt. Während wir ins Plaudern kommen, schwärmt er vom sommerlichen Weissensee. Vom türkisfarbenen Wasser.
Keine Frage, ich muss im Sommer wiederkommen. Doch jetzt heißt es erst mal: Wieder zurück über den See ans Westufer tanzen. Immer der wärmenden Wintersonne entgegen!
Gut zu wissen:
Auf dem Weissensee wurden im Jahr 1987 Szenen für James Bond 007 – Der Hauch des Todes (The living daylights) gedreht. Dadurch wurde der Weissensee international bekannt – auch bei den Niederländern.
Seit 1989 kommen immer Ende Januar tausende Niederländer an den Weissensee, um bei der Alternativen Holländischen 11-Städte-Tour dabei zu sein. Bei diesem knapp zweiwöchigen Eisschnelllauf-Marathon-Event nehmen die Teilnehmer in verschiedenen Wertungen bis zu 200 Kilometer unter die Kufe. Die Stimmung ist relaxt und auch für Genussläufer bleibt genügend Platz auf dem See.
Das Gebiet rund um den Weissensee ist Naturpark und bietet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen touristischer Entwicklung und Naturschutz. Wer noch mehr solcher Genüsse sucht: Südlich liegt das Gailtal, das sich in letzter Zeit als Slow-Food-Reise-Region einen Namen macht. Im Westen schließt das Lesachtal an, das zu den Bergsteigerdörfern zählt.
Noch mehr winterlicher See gefällig? – Ähnliche Dimensionen, wenn auch anders, bietet der Königssee im Berchtesgadener Land. Allerdings friert er noch seltener als der Weissensee komplett zu.