Wanderung zur Quelle des tschechischen Nationalflusses
Jedes Kind lernt mit Smetana, wie orchestral eine Quelle sprudelt. Unterscheidet das frische Springen des jungen Bachs vom ruhigen Dahinfließen des alten Stroms. Eindrücke, die ein ganzes Leben bleiben. Nicht umsonst gilt „Die Moldau“ als eines der großartigsten Tongemälde.
„Moldauquelle“ hatte ich am Abend zuvor auf dem Kartenausschnitt in meinem Wanderführer gelesen. Ganz am Rand stand das Wort. Mitten im Wald. Kleiner, blauer Fleck auf grünem Grund. Sofort ging eine unbändige Faszination von diesem Stückchen Erde aus, das quasi gleich ums Eck lag.
Auf der Suche nach Schnee
Auch im Bayerischen Wald ist es mitunter ein Glücksspiel: Würde irgendwo der Winter von seiner eisig-weißen Seite zu finden sein? Ende Dezember und es ist mild wie schon lange nicht mehr. Ganz weit oben könnten wir fündig werden. Am Grenzkamm vielleicht.
Auf nach Finsterau also. Der kleine Ort liegt, ganz grob gesagt, am östlichen Rand des Nationalparks Bayerischer Wald. Dieses Eck gilt als Kälteloch der Region. Dementsprechend beliebt ist denn auch das Langlaufen hier oben.
So verwundert es nicht, dass man sich selbst als Winterwanderer erst mal mitten auf der Loipe wiederfindet. Wir starten vom Parkplatz Wistlberg im gleichnamigen Ortsteil direkt auf der Bayerwaldloipe. Schöner Name. Später geht es dann über lange Strecken auf schmalen Pfaden weiter.
Spuren der Holztrift
Auf einem Rundweg geht es durch eine interessante Kulturlandschaft: Das Holz aus den hiesigen Waldgebieten war einst begehrt. Um es aus den Bergen zu transportieren, wurde die Wasserkraft genutzt. Kleine Bäche wurden aufgestaut und die Baumstämme hier gesammelt. Öffnete man die Wehre, rissen die Wassermassen das Holz mit sich, weiter hinunter ins Tal. Dort wurden sie entweder verwendet oder auf weitere Reise geschickt. Bis nach Passau oder Budapest zum Beispiel.
Die Holztriftanlagen oberhalb von Finsterau waren so ausgeklügelt, dass Wasser vom einen Bach, dem Reschbach, abgezwackt und über einen langen Schwellgraben (also: Verbindungsgraben) in ein mehr als zwei Kilometer entferntes Auffangbecken, die Teufelsbachklause geleitet wurde. Auf diesen gut zweitausend Metern überwindet das Wasser gerade mal einen Höhenunterschied von 75 Metern und umläuft ganz nebenbei noch einen Berg. Ingenieure unter den Besuchern wissen diese Leistung sicher ganz besonders zu würdigen.
Außergewöhnlich auch: Obwohl sich die Triftanlagen im Nationalpark befinden, lässt man sie nicht einfach verfallen. Nach Nationalpark-Logik wäre genau das an und für sich nachvollziehbar. Denn Anfang der 1950er Jahre wurde hier das letzte mal getriftet. Ihre eigentliche Funktion haben die Anlagen also längst verloren. Die Natur könnte zurückerobern. Die einen Tier- und Pflanzenarten würden verschwinden, andere profitieren. Die Entscheidung ist jedoch ganz bewusst gefallen: Das Trift-System wird dauerhaft als Kulturdenkmal erhalten.
Sicher lassen sich im Sommer und ohne Schnee viel mehr Details entdecken. Doch auch im Winter ist die Wanderung vorbei an den drei Klausen für jeden, der sich an derlei kulturellen Zeugnissen erfreut, abwechslungsreich und spannend.
Ach ja, und dann war da noch der Abstecher nach Tschechien: Kurz bevor wir den höchsten Punkt der Wanderrunde, den Siebensteinkopf, erreichen, entscheiden wir uns für die Verlängerung.
Ehre, wem Ehre gebührt
Etwa eine Stunde sind wir dafür zusätzlich unterwegs. Zwei Kilometer die einfache Strecke. Zunächst kurz direkt an Grenzsteinen entlang. Dann in einem Schlenker mitten hinein ins Loipennetz auf tschechischer Seite. Sssssss … ein Skifahrer saust an uns vorbei, die Schneise hinunter. Er zieht einen Pulka Marke Eigenbau. Darin vergnügt, die etwa zweijährige Tochter. Ähnlich lässig sind wohl nur Skandinavier im Fjell unterwegs.
Dafür, dass die Moldau mitten im Wald liegt, ist hier reichlich Betrieb. Langläufer steigen kurz aus ihren Ski und laufen die drei Holzstufen hinunter zur „Mutter der tschechischen Flüsse“. Obwohl, „Mutter“ ist hier ja eher ein „Baby“.
Geschützt im Unterstand, lässt sich eine tschechische Familie ihre Brotzeit schmecken. Zwei ältere, deutsche Pärchen machen Dutzende Fotos vom winterlich-leise vor sich hin gluckernden Rinnsal. Nicht ausgeschlossen, dass sie insgeheim schon längst alle Smetana schmettern!
Tipp: Ist der Winter schneearm, dann lässt sich problemlos ohne Hilfsmittel zur Moldauquelle wandern. Liegt der Schnee höher, sind Schneeschuhe – dringend – anzuraten. Mit Ski dürfte es auch gehen, hier ist nur etwas Geschicklichkeit am Siebensteinkopf gefragt, da im Nationalpark das Wegegebot gilt. Im Zweifelsfall ein paar Meter tragen.
Übrigens: Auch wer im Bayerischen Wald möglichst ohne Auto auskommen möchte, kommt rund um das Nationalpark-Gebiet recht gut voran. Zumindest in der Sommersaison sowie während der Winterschulferien. Dann ist der sogenannte Igelbus unterwegs. In Orten wie Zwiesel und Grafenau ist er auf die regionalen Bahnen abgestimmt. Auch auf den Wegweisern im Wald ist die nächste Bushaltestelle häufig ausgeschildert.
Und nun – Volumen auf. Augen zu. Zurücklehnen. Entspannen. Und dem Lauf der Moldau folgen: