Hier & da hin Über Land Ungarn

Über europäische Geschichte nachdenken

Im Kloster Bánfalva in Sopron 

Wo die östlichsten Ausläufer der Alpen in die Ebene der Puszta übergehen, liegt Sopron. In die westungarische Stadt hatte mich im Sommer 2017 etwas verschlagen, was man „Leben“, „Zufall“ oder „Interesse“ nennen kann. – Ganz nach Lesart.  

„Leben“, denn die Zeit nach einer Recherchereise, zu der ich als Bloggerin ins Burgenland eingeladen war, wollte ich nutzen, um mich noch ein wenig ausführlicher entlang der österreichisch-ungarischen Grenze umzuschauen. Wenn ich schon mal da war. 

„Zufall“, denn die Idee, noch eine Nacht im Südwesten des Neusiedler Sees dranzuhängen, kam mir viel zu spontan und die letzten, noch verfügbaren Unterkünfte auf österreichischer Seite hatten kaum noch ein … nennen wir es: subjektiv angemessenes Preis-Komfort-Verhältnis. Stattdessen spuckte mir meine Online-Suche eine verlockende Übernachtungsmöglichkeit im Kloster Bánfalva in Sopron aus. 

„Interesse“, denn nur wenige Kilometer von Sopron entfernt fand im Sommer 1989 das Paneuropäische Picknick statt. – Eine Veranstaltung, mit der der Fall des Eisernen Vorhangs entscheidend eingeleitet wurde und die einen wahrscheinlich gar nicht kalt lassen kann, wenn man in der DDR aufgewachsen ist und damals schon alt genug war, die Veränderungen bewusst mitzuerleben.  

Eine Nacht im Kloster

An die Nacht im Kloster denke ich gerne zurück, denn in außergewöhnlichen, historischen Gemäuern zu übernachten hat ja seinen ganz eigenen Reiz. So auch im Kloster in Sopron:

Die Anfahrt führt bergan durch eine Wohngegend. Fast möchte man dem Navi misstrauen. Doch es geht tatsächlich weiter und weiter in die immer enger und einfacher werdenden Straßen. Am Ende der Straße, auf der bewaldeten Bergkuppe angekommen dann ein massives Kirchenportal. Rechts daneben, ganz unscheinbar, ein Türchen, das ich in Ermangelung anderer Eingangs-Pforten alsbald vorsichtig öffne. Und siehe da: Die Rezeption und hinter einer weiteren, schweren Tür der Blick in die Bogengänge und in den Innenhof des Klosters. Alles akkurat renoviert und in Schuss. 

Das Kloster, das heute offiziell Sopronbánfalvi Kolostor Hotel heißt und in einem Außenbezirk von Sopron, liegt, ist ein ehemaliges Pauliner-Karmeliten-Kloster. Das 1482 gegründeten Klosters war anfangs von Mönchen bewohnt, später von Nonnen. Zwischendurch, während der Türkenherrschaft, wurde das Gebäude größtenteils zerstört, später wieder aufgebaut. Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs diente das Kloster als Sozialheim, mit der Wende war es in einem ziemlich desolaten Zustand und wurde 2004 von einem ungarischen Kunstmäzen gekauft und über sechs Jahre aufwändig restauriert. 

Nun also ist das Kloster ein Hotel. Historische Gebäude machen mich schnell etwas andächtig. Hier also zum Beispiel beim Essen: gegessen wird im einstigen Refektorium; in dem klösterlichen Speisesaal schweift mein Blick immer wieder auf die aufwändige und doch zurückhaltende Deckenverzierung.  

Das Wunderbare: Das Kloster ist auch öffentlich zugänglich. Mit einem Audioguide kann man eine Tour durch das Kloster machen und wird vom Kreuzgang bis unters Dach geführt. Vorbei an ehemaligen Klausurräumen, hinauf und hinunter über abgewetzte Treppen, in die Bibliothek und in loungeartige Gemeinschafträume, in denen sich sicher auch ordentlich meditieren ließe, wenn man wollte.  

Wobei: Still und in sich gekehrt fühlt man sich schon im ersten Augenblick, bei Betreten des Klosters. Auch das ist immer wieder faszinierend für mich: Betritt ein Kloster und lass den Welttrubel hinter dir. Angenehm auf die Höhe getrieben wird dieses Gefühl in Sopron bei der Übernachtung: In den Zimmern, ehemaligen Mönchszellen, findet sich weder W-LAN noch ein Fernseher. Statt dessen also Zeit, um über den Tag nachzudenken.  

Diese Zeit in der Zelle, einem mit viel Fingerspitzengefühl hergerichteten Einzelzimmer, kommt mir ganz recht. Denn tags waren wir zunächst auf aufgewellten Nebenstraßen rund um den Südzipfel des Neusiedler Sees und sodann zur ungarisch-österreichischen Grenze unterwegs – um in die europäische Geschichte zu reisen: 

Sopron … in the summer of ’89

Im Sommer 1989 lud die ungarische Opposition gemeinsam mit der Paneuropa-Union zum Paneuropäischen Picknick, während dessen es – mit behördlicher Genehmigung – für drei Stunden einen improvisierten Grenzübergang geben sollte. Mit diesem Picknick sollte getestet werden, wie die Sowjetunion auf das kurzzeitige Öffnen des Eisernen Vorhangs reagieren und ob sie die in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen zum Eingreifen auffordern würden. Die Initiatoren verteilten tausende Flugblätter mit Infos zur Veranstaltung und zehn- bis zwölftausend Menschen, so die Schätzungen, folgten am 19. August 1989 der Einladung – sie hörten Reden und machten Picknick. 

Auch DDR-Bürger, die in Ungarn waren, hatten von dem Paneuropäischen Picknick erfahren und es passierte etwas wohl Ungeplantes, wenn auch nicht gänzlich Unvorhersehbares: Knapp 700 Menschen drückten in mehreren Wellen das Grenztor nach Österreich auf. Weder die ungarischen noch die österreichischen Grenzer schritten ein. Damit war zum ersten Mal eine Massenflucht durch die einst scharf gesicherte Grenze zwischen Ost und West geglückt. Der Rest ist Geschichte: Zehntausende Ostdeutsche machten sich auf den Weg nach Ungarn, weitere hundert Fluchten pro Tag glückten. Am 11. September 1989 öffnete Ungarn seine Grenze für DDR-Bürger, im Herbst kam der komplette Eiserne Vorhang zu Fall. 

Das Paneuropäische Picknick gilt heute als wichtiger Meilenstein für den Niedergang des Eisernen Vorhangs

Als ich über die große Wiese an der Grenze streife, fließen mir trotz hochsommerlicher Hitze immer wieder Kälteschauer durch den Körper. Denn auf dieser Wiese wurde europäische Geschichte geschrieben.

Ohne diesen Gang der Geschichte wäre wohl auch die ehemalige Mönchszelle, in der ich abends erschöpft von der sommerlichen Hitze und von den Eindrücken des Tages einschlafe, nicht so wunderbar instand gesetzt.     

Weitere Details zum Paneuropäischen Picknick: 

„Der erste Stein“ – Beitrag im Spiegel vom 22.05.2009.  

„Der 19. August 1989 war ein Test Gorbatschows“ – Beitrag in der FAZ vom 19.08.2009.

Wikipedia-Eintrag zum Paneuropäischen Picknick.

Der Verein „Schlösser und Gärten in Deutschland e.V.“ fragt in seiner aktuellen Blogparade (noch bis zum 5. Juni 2018) unter dem Hashtag #SchlossGenuss nach dem ganz persönlichen Blick auf Schlösser, Burgen, Klöster und historische Gärten. 

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